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Kriminalpsychiatrie und Strafrecht im Widerspruch zur Naturwissenschaft

Weitgehend und unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich das Strafrecht und die Kriminalpsychiatrie auf die Anwendung von Krankheitsbegriffen geeinigt, die im Widerspruch zur naturwissenschaftlichen, pragmatischen und traditionellen Medizin stehen.
Der juristische und forensische Krankheitsbegriff behauptet, daß zwischen dem psychisch Normalen oder zwischen Psychosen einerseits und Psychopathien und Neurosen andererseits eine Grenze der Willensfreiheit verlaufe, obwohl dieses Konstrukt weder empirisch noch philosophisch haltbar ist. Was für einen Sinn aber macht es, Menschen die an Neurosen, Psychosen und Psychopathien leiden, dieselbe Willensfreiheit anzudichten wie psychisch normalen? Obwohl auch der Kriminalpsychiatrie bekannt sein müßte, daß Menschen, die unter Neurosen, Psychosen usw. leiden, ihre gestörte Gefühlswelt nicht mit ihrer geistigen Handlungsfreiheit kontrollieren können. Es handelt sich also um unbewußte Prozesse, die sich hartnäckig einer bewußten Kontrolle entziehen. Wer aber kein Bewußtsein über unbewußte Gefühlsprozesse hat, kann auch nicht über eine souveräne Willensfreiheit verfügen.
Diese unterstellte Willensfreiheit dient dem Zweck, im Falle psychogenen Krankseins in Verbindung mit gesellschaftlichen Konfliktsituationen oder nicht konformen Verhaltens eine metaphysisch konstruierte Schuldfähigkeit des Menschen herzustellen und sicherzustellen. Das Dogma der Schuldfähigkeit legitimiert nun das Strafrecht, mit repressiven Mitteln gegen psychogenes Kranksein vorzugehen anstatt nach medizinisch-naturwissenschaftlichen Kriterien. Da die Jurisprudenz in Sachen Medizin und Naturwissenschaften aber nicht kompetent ist, zieht sie die Psychiatrie als Wissenschaft vom seelisch Abnormen heran, wenn Zweifel an der geistigen Normalität eines Täters auftauchen, in der Erwartung, daß sie ein Kriterium zur Unterscheidung verantwortungsfähiger und verantwortungsunfähiger Menschen bieten kann. Die forensische Psychiatrie behauptet, im Besitze dieser Unterscheidungsfähigkeit zu sein, und kommt mit der Autorität einer Wissenschaft daher, obwohl ihre Unterscheidungsfähigkeit eher begrenzend als erhellend ist, denn der biologisch-somatisch ausgerichtete Krankheitsbegriff steht im Widerspruch zur pragmatischen Medizin, die ja Teil der Erkenntnisse der Naturwissenschaft ist.
Der Kernsatz der forensischen Psychiatrie lautet: „Für uns ist der dominierende - wertbezogene - Orientierungsbegriff die Schuldfähigkeit des Menschen" (W.de Boor) und beruft sich auf „zu - und übergeordnete, wertende Gesichtspunkte". „Krankheit selbst gibt es nur im Leiblichen, und krankhaft heißen wir seelisch Abnormes dann, wenn es auf krankhafte Organprozesse zurückzuführen ist." (Kurt Schneider) Dieses Paradigma offenbart eine eingeschränkte Sichtweise, deren geistiger Horizont noch heute weit hinter den Erkenntnissen der östlichen und westlichen Tradition hinterherhinkt. Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. schrieb Pantan-jali: „Das Leben ist eine Aktivität, die den Organismus eines Lebewesens als ganzes mit einbezieht. Der Mensch hingegen ist ein Lebewesen, das dazu neigt, bruchstückhaft und nicht ganzheitlich zu leben und zu handeln. Er tut es deshalb, weil er frei ist, sich etwas auszusuchen, zu wählen. Dieses Aussuchen und Wählen zerbricht die Ganzheit, die das Leben ist, in Teile und neigt dazu, einen Teil für das Ganze zu halten. Teile haben ihren Sinn nur in bezug auf das Ganze, als integrierte Glieder des Ganzen. Wenn man sich einem Teil zuwendet und dabei das Ganze nicht wahrnimmt, versäumt man den eigentlichen Sinn des Lebens. Dieser ursprüngliche Fehler treibt Menschen in eine gedanklich konstruierte Welt der Vorstellungen und Träume, die sich bei der Berührung mit dem Existentiellen und Wirklichen in Asche verwandelt. Der Widerspruch zwischen dem Ideellen und dem Existentiellen führt unvermeidlich zu Spannungen, Konflikten, Verwirrung, Chaos und Elend." Auch die antike Wissenschaft im 4. Jahrhundert v. Chr. war schon weiter als das hier zitierte Paradigma aus unserer Zeit.
Hippokrates und auch bestimmte Charaktere aus Platons Dialogen stellen fest, „daß die Medizin den Leib über die Seele heilen muß". „Denn alles", sagte Sokrates in den Charmides, „entspränge aus der Seele, Böses wie Gutes, den Leib und den ganzen Menschen, und ströme ihm von dort her zu. So, wie man nicht unternehmen dürfe, die Augen zu heilen ohne den Kopf noch den Kopf ohne den ganzen Leib, so auch nicht den Leib ohne die Seele."
Auch Jan Smuts (1926) stellte die eingeschränkte Sichtweise der Schulmedizin, die die Vielschich-tigkeit und die Multidimensi-onalität des Menschen unberücksichtigt läßt, in Frage. Er vertrat die Auffassung, daß das Ganze nicht nur die Summe seiner Teile sein kann. Ganzheitlichkeit im herkömmlichen Sinne geht davon aus, daß Körper, Geist und Seele untrennbar sind. Die ganzheitliche Medizin geht noch weiter und bezieht das Verhalten eines Menschen, seinen Glauben, sein Wertesystem, sein menschliches Umfeld und seine Umgebung mit ein. Ein derart umfassendes Verständnis für die ursächlichen Faktoren von Gesundheit und Krankheit führt zu wirkungsvollerer Heilung. So wundert es nicht, daß das eingeschränkte forensische Modell an der Wirklichkeit vorbeigeht, aber dennoch für die Jurisprudenz bestimmend ist, zu schrägen Analysen und minimierter Heilung kommt. Doch nun wieder zu den Vertretern der Kriminal-psychiatrie: "Wir finden bei allen verwandten Erscheinungen niemals Phänomene, die die Gesetze des steuerbaren Seelenlebens überschreiten und in den Bereich des Krankhaften hinüber weisen" (Dr. Bresser) Ja, da könnte man fast fragen: Was findet Dr. Bresser denn überhaupt - außer die Erscheinungsformen seines Bewußtseins?
Weiter heißt es dann in den Kernsätzen des psychiatrischen Hüters der abendländischen Grundtugenden (Wolfgang de Boor): „Letztes Ziel einer nicht soziologisch, sondern metaphysisch, also nach einer höheren Ordnung orientierten Strafrechtspflege sollte es sein, die selbst in den negativen Grundströmungen krimineller Menschen noch vorhandenen geistigen Gegenkräften zu beleben und den Rechtsbrechern wenigstens eine Ahnung von der Existenz solcher Grundtugenden wie Armut, Gehorsam und Keuschheit zu geben, denen wir die Blüte unserer abendländisch-christlichen, Kultur verdanken." Eine metaphysisch-religiöse Lachnummer der ganz besonderen Art, als Leitsätze der forensischen Psychiatrie. Zu diesem demagogischen Konglomerat aus Halbwahrheiten und religiöser Indoktrination, die hier als suggerierte Tugend daherkommt, schreibt Tilmann-Moser treffend: „Ärgerlich wird es die betroffenen Kriminal-psychiater stimmen, daß selbst ihre medizinischen Diagnosen und charakterologischen Unterscheidungen nicht für bare Münze genommen werden, sondern als Formeln, in denen sich objektive Erkenntnisse und politisches wie weltanschauliches Interesse dunkel vermengen." Es ist schon erstaunlich, wer sich alles auf eine höhere Ordnung beruft, deren armselige Eckpfeiler auch noch mit „Armut, Gehorsam und Keuschheit" identifiziert werden. F. Hölderlin schreibt zu diesem Thema: „Nichts läßt die Erde mit größerer Sicherheit zur Hölle werden, als der Versuch des Menschen, sie zu seinem Himmel zu machen."
Aus der PNI-Forschung (Psy-choneuroimmunologie) ist aber bekannt, daß es drei weitverbreitete ungesunde und krankheitsfördern-de Einstellungen gibt - nämlich: „Ohnmacht, Einsamkeit und Gefühle des Mangels."
Und explizit genau diese ungesunden und krankheitsfördernden Kriterien werden von der Kriminalpsychiatrie und der Justiz als die große regenerative - sittenbildende Kraft suggeriert. Künstlich erzeugte Armut bei den Verwahrten bewirkt
geradezu eine unablässige Regression auf Gefühle des Mangels und der Ohnmacht. Einsamkeit und Gehorsam, hier als totale Verfügbarkeit über das Individuum, bedient genau diese Gefühle des Mangels, die ungesunde und krankheitsför-dernde Einstellungen begünstigen. Die psychologischen und politischen Bezugssysteme haben natürlich auch ihre Risiken, wie Nietzsche bemerkte: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen." Oder wie der Molekularbiologe Francois Jacob (1988) treffend schreibt: „Nichts bewirkt soviel Zerstörung, Elend und Tod, wie die Besessenheit von einer für absolut gehaltenen Wahrheit. Jedes historische Verbrechen ist das Produkt eines Fanatismus. Jedes Blutbad wird angerichtet im Namen der Tugend, im Namen des berechtigten Nationalismus, einer wahren Religion, einer gerechten Ideologie, des Kampfes gegen Satan."
Auch das Militär hat sich schon für die „höhere Ordnung" eingesetzt. Auf ihren Koppeln stand: „Gott mit uns" und sie töteten gehorsam Millionen von Menschen und ließen sich selbst in Kadavergehorsam wie die Schafe abschlachten. Dies gibt uns eine Vorstellung davon, wie diese „höhere Ordnung" des Gehorsams mißbraucht wurde und was hier an Manipulationen möglich ist. Aus der Kirchengeschichte wissen wir, daß die Urkirchenväter die angeblich metaphysisch höhere Ordnung, bestehend aus den drei Säulen: Armut, Gehorsam und Keuschheit zu einem mächtigen Indoktri-nationssystem ausbauten, um die Massen unmündig und fremdbestimmt zu halten und sie besser kontrollieren zu können. Die Initiatoren dieser Grundtugenden und ihre Nachfolger hielten übrigens von ihrem eigenen Ideal der Armut nicht sonderlich viel. Sie rafften Unmengen an Besitz und Ländereien zusammen, verrieten ihre eigenen Ideale und hielten sie für die Armen hoch.
So entpuppt sich die metaphysisch „höhere Ordnung" in Wirklichkeit weitgehend als niedere - unnatürliche Zwangsordnung, von der die Macher profitieren, während die Suggestionsempfänger sich an den Idealen laben können. Mit dieser überholten Tugend aus den Kirchenanfängen können nicht die heutigen Probleme des zwanzigsten Jahrhunderts gelöst werden. Daß die Justiz und die Kriminalpsychiatrie nun ihre ganze Hoffnung in die Gefangenen setzen, daß wenigstens diese die avisierten Tugenden realisieren, zeigt, welchem armseligen und undifferenzierten Bewußtsein wir Gefangenen gegenüberstehen. Noch schlimmer aber ist es, daß diese armselige Ideologie von der Rechtswissenschaft und der Kriminalpsychiatrie hochgehalten wird, um dem Paradigma einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Was aber sagen die Vertreter der Naturwissenschaft zum psychogenen Kranksein? Helmut Ehrhardt schreibt: „In unserem ärztlichen Tun und Lassen stehen selbstverständlich krankhafte, abartige und psychore-aktiv-neurotische Ge-sundheitsstörungen, organische Krankheit und psychogenes Krank-sein gleichberechtigt nebeneinander. Der ärztliche Auftrag kennt keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen gestörter Gesundheit. In der Gutachtertätigkeit ist dagegen Wortlaut und Sinn des Gesetzes bestimmend. Statt Heilung, ideologische Unterscheidung und Bestrafung. Für den Mediziner ist und bleibt die Heilung des Kranken, der ihm jeweils gegenübersteht, das Entscheidende." (Reichard Lange) Damit die Justiz aber dennoch diese Unterscheidung forcieren kann, leiht sie sich kriminalpsychiatri-sche Gutachter aus, die die Erkenntnisse der Medizin auf den Kopf stellen, um die Justiz mit Halbwahrheiten und eingegrenzter Sichtweise eine pseudowissenschaftliche Legitimation für repressive Eingriffsmittel zu verschaffen. Had-denbrock schreibt dazu: „Mit anderen Worten: wir sind uns einig, daß wir dem Richter nichts zu bieten vermögen, wenn er beabsichtigen sollte, mit Hilfe eines wissenschaftlichen Sachverständigen den unfreien persönlich-schuldlosen Täter von dem halb freien und dem in voller Freiheit schuldhaft das Verbrechen wählende Böse zu unterscheiden. Die Frage ist nur, sollen wir wider bessere Einsicht so tun, als ob nur der im medizinischen Sinne kranke psychisch-abnorme Täter unfähig wäre, einsichtsgemäß zu handeln, der nichtkranke psychisch Abnorme aber fähig dazu sei? Sollen wir wider besseres Wissens unsere Unterscheidung von krank und nicht-krank identifizieren lassen mit der Unterscheidung von nicht-schuldfähig und schuldfähig?"
Mit anderen Worten, was die medizinischen Vertreter der Naturwissenschaft nicht unterscheiden können, gelingt der Kriminalpsychiatrie auf wundersame Weise mit ihrem eingeschränkten biologisch-somatisch orientierten Krankheitsbegriff, obwohl dieses Modell von Halbwissen die Erkenntnisse der holisti-schen Medizin ignoriert. Das tief eingewurzelte und eingefleischte Macht und Strafbedürfnis erhält einen überhöhten Stellenwert, der sich verselbständigt und so die niederen Gefühle bedient, die einer rationalen Klärung aus dem Wege gehen und psychogenes Kranksein für ihre Zwecke mißbrauchen, d.h. Kranksein mit ideologischen Orientierungsbegriffen zu besetzen, um Kranken die Hilfe zur Heilung zu verweigern und lieber auf Repression setzt und so eine verhängnisvolle Spirale in Gange bringt. Diese unwissenschaftliche Vorgehensweise setzt sich auch im Strafvollzug fort. Da psychogenes Kranksein nicht mit den Mitteln der Repression gelöst werden kann, bedarf es nicht allzuviel Phantasie, sich vorzustellen, wie es mit diesen geplagten Leuten in der Situation der totalen Institution weitergeht. An psychischer Verstrickung und deren Aufarbeitung ist hier niemand interessiert. Ganz auf sich gestellt, allein gelassen und der pausenlosen negativen Beeinflussung des Gefängnisalltages ausgesetzt, verschlimmert sich die Symptoma-tik. Aus dem zunächst noch harmlosen erscheinenden psychogenen Kranksein bilden sich schwerste Formen von Neurosen und Psychosen unter den Auswirkungen der Haft. Welche unwürdigen Formen das annehmen kann, können wir hier alle täglich sehen. Trotz des Herausbildens einer nunmehr unübersehbaren schwersten Gesundheitsstörung, die gesetzlich eine Haftunterbrechung vorsieht, für die Dauer der Genesung, wird auch dieses Gesetz unterlaufen und den Kranken die ärztliche Hilfe vorenthalten. Nun heißen nicht alle Gefangene Schneider und Co. Als aber für Herrn Schneider eine Haftunterbrechung für seine Genesung bewilligt wurde, hatte die Justiz nichts eiligeres zu tun, als sofort durch ihre Pressesprecherin zu lancieren, daß dieses Privileg nicht nur Herrn Schneider gewährt würde, sondern allen kranken Gefangenen. In Wirklichkeit vegetieren die psychisch Kranken vor sich hin, ohne auch nur einen Tag Haftunterbrechung zur Genesung zu bekommen. In das Haftkrankenhaus kommen diese Leute aber auch nicht, sondern sie werden weitgehend ohne korrekte medizinische Hilfe ihrem Schicksal einer durch und durch destruktiven Straftherapie überlassen, auto-aggressives Kranksein gegen sich selbst, da braucht kein Henker mehr tätig zu werden. Schleichendes Siechtum garantiert!
Und wieder hat in Deutschland niemand etwas gewußt, gemerkt (außer die paar Ausnahmen), was für pseudo-wissenschaftliche Orientierungsbegriffe die Kriminalpsychiatrie und Rechtswissenschaften benutzen, um der Allgemeinheit eine human-medizinische Orientierung oder Ethik vorzugaukeln. Neuerdings ist es auch Mode geworden. jeden Hans und Franz, psychiatrisch zu begutachten. (Die Justiz muß ja über Unmengen von Geldern verfügen, um sich dieses leisten zu können, während sie bei uns selbst schon beim Essen Einsparungen vornimmt.) Auch hier ist zu beobachten, daß die Krimi-nalpsychiatrie die Rolle des beteiligten Gehilfen übernimmt, sich aber selbst als unabhängige, neutrale und objektive Instanz versteht, aber nicht die konkreten Haftbedingungen analysiert, sondern die hier herrschenden Unterdrückungs-, Belohnungs- und Ausbeutungsstrukturen in „wohlwollende Förderung und Unterstützung" umdeutet. Ja selbst die damalige sogenannte „geschlossene Heimunterbrin-gung" (im Klartext Kinderknast), wo man mit folgenden Worten im Nazijargon empfangen wurde: „Na - Du Mistbiene - hast'n Auto geknackt? Ab in den Bunker, damit Du gleich weißt, wo es hier lang geht. Jedem das Seine. Hier bekommt jeder, was er verdient. Selber Schuld." Wenn das so ist, dann müssen wir doch mal die Frage stellen; was hatten denn die Nazis für ihre Taten verdient? Hatten sie es verdient, als Massenmörder mit Minimalstrafen davon zu kommen? (falls sie überhaupt belangt wurden). Verdient hatten selbst nichtdeutsche SS-Angehörige dicke Pensionen und den Schutz des Staates. Ihr verbrecherisches Handeln wurde ihnen noch mit Pensionen versüßt. Um wie viele Milliarden der Steuerzahler so geschröpft wurde, bleibt das Geheimnis der Bonner Politik. Die Großzügigkeit gegenüber dieser Tätergruppe schlug andererseits wiederum gegen Heimkinder in absolute Strenge, Kleingeistigkeit und Knauserigkeit um. Für gesetzlich verbotene achtstündige Kinderarbeit statt Schule erhielten diese 7 Pf pro Arbeitstag. Mit anderen Worten, die Bonner Politiker hatten es so eingerichtet, daß für die NS-Schergen finanziell gesorgt wurde, während für Kinder, die niemand umgebracht hatten, kein Geld für die geleistete Arbeit vorhanden war. Offensichtlich sahen es die Politiker für sinnvoller, NS-Schergen und ihre Taten mit Pensionen zu vergelten und arbeitende Kinder mit Lohnentzug zu bestrafen. Ein solches System aber, wo der Mord belohnt, die Arbeit aber bestraft wird, nannten die damaligen Richter: „Fürsorgliche Betreuung"! Damit meinten sie aber nicht die Pensionen für die NS-Schergen, sondern die damalige geschlossene Heimunterbringung mit ihrer Mistbienen-Iseologie und dem dazugehörigen Lohnraub-Verhalten. Daß aber die Justiz auch heute noch ihr damaliges aggressiv-ausbeutendes Agieren unter dem Duktus Rechtspflege als „fürsorgliche Betreuung" lanciert und verschleiert, ist schon peinlich genug. Wenn aber heute die Kriminalpsychiatrie daherkommt und den systemimmanenten Psycho-Müll als individuell meßbare Schuld diagnostiziert, dann müssen wir konstatieren, daß es mit den objektiven Erkenntnissen dieser Wissenschaft nicht weit her ist. Wer die Vernichtung von Lebensperspektiven und die finanzielle Ruinierung der Eingesperrten vorantreibt (so kann man auch Kriminalität organisieren) und dies dann generös umdeutet in „fürsorgliche Betreuung" und „wohlwollende Förderung und Unterstützung", kann keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. Sollten sie uns tatsächlich zwingen wollen, unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet zu verleugnen, käme dies einer Gehirnwäsche gleich. Eine Wissenschaft aber, die das eine nicht vom anderen unterscheiden kann und aggressiv ausbeuterisches Verhalten als edle Taten der wohlwollenden Förderung und Unterstützung umdeutet, kann wohl ernsthaft kaum Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben. Deshalb sagten nicht ohne Grund (Schwarz und Wille): „Der Mediziner darf nicht zum moralisierenden scheinpädagogischen Reserveengel der Justiz werden." Die forensische und juristische Auslegung einer seelischen Schädigung hat strafrechtlich keine Relevanz: „Wo der sichtbare Körperdefekt fehlt, wird er hypostasiert (untergeordnet). Krank sein kann nur der Körper, die Seele höchstens als Folge davon. Damit sind aber Schäden, die ein Mensch durch Zustände oder Ereignisse im Laufe seines Lebens erleidet und die Psyche seiner Persönlichkeit beeinflussen, aus dem Bereich des Strafrechts, soweit er nach der Schuld fragt, herauseskamotiert: das Leben, das Leiden und Erleiden von Mangellagen, die seelische Dauerschäden hinterlassen, das Milieu, das einem Menschen Angetane und Widerfahrene können nicht entlasten, nur die Natur, die Biologie, das Schicksal jenseits menschlichen Zusammenlebens." (Tilmann Moser) Seelische Schädigung gibt es für die Justiz nur im umgekehrten Sinne, nämlich dann, wenn ein Straftäter beim Opfer seelische Schädigungen hinterläßt, dann ist sie strafrechtlich relevant als Kriterium für Strafverschärfung.
Man merke sich: Nur Straftäter können seelische Schäden verursachen, sie selbst aber sind dagegen völlig immun. Diese kausale Entkoppelung führte zu Doppelstandards, die keine Probleme löst, sondern eher ständig neue produziert. Krankheitsfördernde Bedingungen und Einstellungen können keine Katharsis bewirken.

(uho)

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