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Frühpension wegen Klaustrophobie?

Entscheidung über Krankheitscharakter willkürlich?

Mit großem Eifer und Nachdruck äußerte sich in der Vergangenheit ein Großteil der Beamtenschaft über das simulierte Kranksein der Gefangenen. Es waren immer gleichlautende Argumen-tationsmuster über die Faulheit und das Simulantentum der arbeitsunwilligen Gefangenen. Bei soviel unterstelltem Simulantentum ging aber der Sinn und der Blick für wirkliches Kranksein verloren. Hinter vielen Symptomen sah man nur eine Täuschung oder Simulation, aber keine Krankheit. Doch nun hat diese undifferenzierte Unterstellungsrethorik die Beamtenschaft selbst eingeholt! So wurde jetzt bekannt, daß 30-35% der Beamtenschaft in Frühpension gehen und immer mehr Beamte eine Krankheit nur vortäuschen und eine Dienstunfähigkeit simulieren, um schon unter 40 in den Ruhestand zu gehen. Diese Frühpensionierungen werden nun für einen „Skandal" gehalten! Weil sie, so wird argumentiert, nicht immer wirklich krank seien, sondern es viele Beamte gebe, „die ihre Dienstunfähigkeit schon lange im voraus planen". Diese Erschleichung der Frühpensionen würde sich im Laufe des Ruhestandes schon mal auf eine Million Mark summieren. Ironie der Geschichte - in den hier zitierten Fällen - soll es sich um Simulanten handeln, die angeblich an Klaustrophobie leiden. Also an einer neurotischen Angst leiden, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Diese psychischen Belastungen führen im Umgang mit Gefangenen zu sogenannten Angststörungen, die sich durch unkontrolliertes Herzrasen, Bluthochdruck, Schweißausbruch und Katastrophengedanken äußern. Es soll hier jetzt aber nicht die übliche Unterstel-lungsrethorik transportiert werden, denn - ob es sich hier um Simulantentum oder um eine echte Krankheit handelt, können nur Fachärzte beurteilen. Von Mißbrauch und Simulan-tentum mal ganz abgesehen, gibt es die Klaustrophobie mit ihrem symptomatischen Erscheinungsbild tatsächlich. Da es sich hier um ein emotionales Leiden handelt - stößt die Schulmedizin auch hier an ihre Grenzen, wenn es um degenerative und streßbedingte Krankheiten geht, die eher mit unserer Art zu denken und zu leben zusammenhängen als mit Bakterien, Viren und Giftstoffen. Derartige Lebensprobleme können nicht unter dem Mikroskop untersucht, mit Medikamenten geheilt, dem Skalpell entfernt oder durch Organtrans-plantationen behoben werden. Sie lassen sich nicht auf biophysische Zusammenhänge reduzieren oder von getrennten Fachrichtungen erfassen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß in der Vergangenheit eine nicht unerhebliche Zahl der Beamtenschaft an diesen psychischen Angststörungen gelitten hat, die nur schwer zu diagnostizieren sind. Dies führt sicherlich oft dazu, daß die Symptomatik falsch bewertet und die Beamten in ihrer Not allein gelassen wurden. Verspottet und nicht ernst genommen mit ihrer Krankheit - begingen einige sogar Selbstmord!
Nun kann man sich aber vorstellen, daß, wenn Beamte schon unter starken Symptomen der Klaustrophobie leiden können, welche zerstörerische Auswirkungen der Angst vor geschlossenen Räumen bei Gefangenen auftreten können, die abends nicht nach Hause gehen oder sich von den geschlossenen Räumen erholen können. Parole: „Da mußt Du durch"! Es handelt sich hier um ein Tabuthema, das nirgendwo zur Disposition gestellt wird. In § 455 StPO steht allerdings nicht zu schweren Psychoerkrankungen, „Da mußt Du durch", sondern er gibt der Vollstreckungsbehörde die gesetzliche Möglichkeit, wegen Vollzugsuntauglichkeit eine Haftunterbrechung zum Zwecke der Genesung anzuordnen. Wir wissen aber, daß hiervon so gut wie nie Gebrauch gemacht wird, weder bei der schwersten Form der Klaustro-phobie noch bei anderen lebensbedrohenden oder chronischen Krankheiten. Dieser rechtliche Weg der Haftverschonung und Genesung (natürlich nur für die Dauer der Genesung) wird allerdings auch bei schwersten Erkrankungen wiederum durch ein anderes geltendes Recht mit der amedizinischen Formel unterlaufen, „wenn überwiegende Gründe, namentlich der öffentlichen Sicherheit, entgegenstehen". So hat sich also das Kranksein an der öffentlichen Sicherheit zu orientieren und nicht an medizinischen Kriterien. Und dies ist der eigentliche Skandal: medizinische Indikationen zugunsten der öffentlichen Sicherheit zurückzustellen.
Die Lebenssicherheit des Erkrankten spielt dabei keine Rolle - nur die der öffentlichen Sicherheit. Eine Gesellschaft aber, die ihr dumpfes Strafbedürfnis über das Recht auf Unversehrtheit und Heilung eines Kranken stellt, ist weder liberal noch human, sondern einfach nur einseitig fixiert, ohne jegliches Mitgefühl und unterstützt so unbewußt jene Formen der Psychosen, vor denen sie sich so sehr fürchtet. Welche konkrete Gefahren allerdings für die öffentliche Sicherheit von Schwerkranken ausgehen, die ohnehin schon aus dem letzten Loch pfeifen und ansonsten auch nichts auf die Reihe kriegen, da sie erst mal auf die Hilfe der Medizin angewiesen sind, weiß sicherlich nur der Gesetzgeber. Mit anderen Worten: statt medizinische Hilfe juristische Tiefschläge für Kranke! Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß die Klaustrophobie auch nicht im Haftkrankenhaus geheilt werden kann und so werden diese Kranken nur mit starken Beruhigungsmitteln ruhiggestellt, die die Ursachen nicht beseitigen können und zudem noch zu psychisch-physischer Abhängigkeit und erheblichen Nebenwirkungen führen. Hier wird juristisches Sicherheitsdenken und eine Pseudobehandlung über das Recht auf Gesundheit und umfassende Heilbehandlung gestellt. So wundert es auch nicht, daß dieses Thema - wenn es schon in den Medien besprochen wird - nur auf die Beamten reduziert und die davon noch viel mehr betroffenen Gefangenen völlig ausgeblendet, ignoriert und totgeschwiegen werden. Dieses Tabuthema sollte deshalb von uns ständig vertieft werden!
Wer also an Klaustrophobie oder an anderen Krankheiten leidet und bei dem § 455 StPO abgelehnt wurde, kann sich bei mir melden, denn jeder Beitrag und jede Information kann wichtig sein, um die hier herrschende Versagungspraxis des § 455 StPO transparent zu machen und sich dafür einzusetzen, daß wirkliches Kranksein wieder nach den ethnischen Grundsätzen der Medizin gehandhabt und nicht mehr mit rigiden juristischen Auslegungen unterlaufen wird.

(uho)

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