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Brauchen wir „Alpha"-Tiere als Führer?

Was bedeutet der Trend zur „Führungspersönlichkeit" wirklich?

Das „Alpha"-Tier als große Leitfigur und Führer, der alles zum Besten richtet und dem sich alles gehorsam und demütig unterordnet, wird wieder populär. Doch dieses Mal tauchen die animalischen Allmachtsphantasien nicht aus dem braunen Lager auf, sondern aus der „goldenen Mitte" der SPD. Überraschend ist dies nicht, denn die tumbe Vorstellung von der „animalischen" Natur des Menschen gilt landauf und -ab als gesicherte Erkenntnis. Eine Scheinerkenntnis, da sie nur die negative Natur des Menschen spiegelt, die positive aber ausblendet. Diese negative Sicht der menschlichen Natur durchzieht auch die moderne Psychologie und unsere gesamte Kultur. Daß allerdings die Sichtweise - das Tier im Menschen - die Manifestation der tieferen und positiven Anteile unserer Natur blockiert und negiert, ist noch nicht ins Bewußtsein gekommen. Da aber auch die moderne Wissenschaft die emotionale und intuitive Seite des Lebens ignoriert und eine Objektivität vorgaukelt, die nicht gegeben ist, ist die moderne Wissenschaft gespickt mit versteckten Voraussetzungen und Wertungen, die dem menschlichen Geist Gewalt antun. Diese subtile Gewalt ist oft viel effizienter als der offene Faustschlag eines Unbeherrschten!
Die akademische Psychologie, Soziologie und Evolutionslehre betrachten den Menschen als ein „maschineähnliches Wesen", das ein „mechanisches Dasein" führe und zudem noch „von Außenreizen gesteuert" wird und von seiner „animalischen Natur abhängig" ist. Ferner behaupten sie, daß die Menschen „keinesfalls als frei denkende und handelnde Wesen agieren, sondern als Sklaven von Trieben und Unbewußtem." (Während die Kriminal-psychiatrie und die Rechtswissenschaft den freien Willen und die Verantwortlichkeit postulieren.) Dieser Sichtweise liegt ein ziemlich negatives Menschenbild zugrunde. Der Mensch wird damit wie ein Tier betrachtet oder dargestellt, dem es instinktiv nur um das eigene Vergnügen und Überleben geht und dem es dazu auch noch Spaß und Freude macht, andere zu verletzen oder zu dominieren. Diese destruktive Sichtweise entfremdet den Menschen von sich selbst oder seiner positiven Natur und suggeriert ihm stattdessen negative Wahrnehmungen über sich selbst. Deshalb verschleiert die akademische Psychologie ihre entmenschlichenden philosophischen Grundlagen sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber, denn der beleidigende Charakter dieser Negation war auch der modernen Psychologie, der Soziobio-logie und der Evolutionslehre nicht entgangen. Sie unterschlagen ganz einfach, daß der Mensch durchaus nicht dazu verdammt ist, „als Sklave von Trieben und Unbewußtem" zu agieren, sondern er auch über die bedeutsame Fähigkeit verfügt, mit zunehmender Reife die inneren Prozesse zu kontrollieren und sich so aus dem Gefängnis alter Konditionierungen, eingeschliffener Gewohnheiten und destruktiver Muster zu befreien. Zu diesem Thema schreibt Stanislav Grof treffend: „Die kartesianisch Newtonsche Wissenschaft hat ein sehr negatives Bild vom Menschen geschaffen. Es stellt ihn als eine biologische Maschine dar, die von instinkthaften tierischen Impulsen gesteuert wird. Höhere Werte wie spirituelles Bewußtsein, Liebe, ästhetische Bedürfnisse oder der Gerechtigkeitssinn finden in ihm keinen richtigen Platz. All diese Dinge werden als Abkömmlinge von Grundinstinkten gesehen oder als Kompromisse, die der menschlichen Natur eigentlich fremd sind. Nach dieser Vorstellung gelten der Individualismus, der Egoismus, der Wettbewerb und das Prinzip des Überlebens des Stärkeren als natürliche und ihrem Wesen nach gesunde Neigungen. Die materialistische Wissenschaft, die geblendet war von ihrem Bild der Welt als einem Konglomerat aus mechanisch interagierenden getrennten Einheiten, erwies sich als unfähig, den Wert und lebenswichtige Bedeutung von Kooperation, Synergie und ökologischen Anliegen zu erkennen.
Aus diesem Hintergrund wundert es nicht, daß die „goldene Mitte" der großen Volksparteien schon immer ein Faible für die Analogie hatte: Das Tier im Menschen könne nur durch das „Alpha"-Tier gezähmt werden, so jüngst in der Debatte über Jugendkriminalität. Diese bildhafte Tiersprache enthüllt hier ganz offen ihren destruktiven Charakter.
Wir sind aber keine Tiere und brauchen auch keine „Alpha"-Tiere, weil wir - so wird es suggeriert - so „strukturiert" seien. Die Frage allerdings, ob der Mensch denn nun auch wirklich so „strukturiert" geboren wurde oder ob dieses Verhalten angelernt ist, wird da natürlich nicht gestellt. Aus gutem Grund. Die Vertreter dieser „Alpha"-Tier-Ideologie sind lediglich nur daran interessiert; Macht über andere zu haben und sich gleichzeitig als Retter der Gesellschaft anzudienen - natürlich nur gegen ein entsprechendes privilegiertes Honorar plus Gefahrenzulage etc. -, um die Tiermenschen mit noch mehr Tierischem oder destruktiven Gedankenmustern zu indoktrinieren. Wir haben es hier also mit exzellenten Negativ-Denkern zu tun, die immer auf der Suche nach dem Bösen sind und stets bei anderen die tierhafte Gesinnung wittern. Nur bei sich selbst nicht. Die Vertreter dieser Theorie sollten erstmal lernen, ihre eigenen destruktiven Gedankenmuster von denen anderer zu unterscheiden und damit aufhören, ihren emotionalen Müll auf andere zu übertragen und die auch noch als „Verbrechensbekämpfung" zu deklarieren.
Vor 40 Jahren z.B. herrschte eine kriegserprobte Generation, die, um von sich und ihrem blutigen Handwerk abzulenken, auf die Jugend hetzte und strengste Bestrafung für die kleinste Kleinigkeit forderte und durchsetzte. Heute wird wieder pauschal auf die Jugend gehetzt. Sie sei sogar die „dege-nerierteste Jugend aller Zeiten". Tatsächlich ...? Von wem so erzogen, wollen wir lieber nicht fragen. Diese Generalverdächtigung spiegelt einen tiefen Blick auf die Vorgeneration, die uns damals schon stolz ihre tiefgreifende Erkenntnis offerierte: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm." Sie glaubten, in Menschen die Eigenschaften von Äpfeln zu erkennen und verklären heute die 50er und 60er Jahre als „goldene Zeiten". Dema-gogische Spinnereien auf allen Ebenen!
Was die Altparteien allerdings gegenwärtig zur Kriminalitätsbekämpfung inszenieren, ist eine Volksverarschung sondergleichen. Da wird der Bevölkerung suggeriert die „weiche Welle" mit ihrer „Sozialromantik" hätte nichts gebracht. Dies impliziert die Vorannahme, daß sie ja eigentlich humane Sozialromantiker waren, aber die Bösheit der Kriminellen nutzte das nur schamlos aus.
Auf der einen Seite waren sie tatsächlich Sozialromantiker, die Massenmörder pro Mord für - romantische drei Minuten - in den Knast schicken, aber 14jährige Kinder für drei Jahre ohne Anrechnung der U-Haft inhaftierten für den Diebstahl von leeren Pfandflaschen und ähnlichen Delikten. Null-Toleranz auch damals für Kinder und größte Toleranz für Massenmörder. So mußten schon damals die Kinder lernen, daß sie Zynikern ausgeliefert waren, die den geringsten materiellen Schaden strafrelevanter werteten als Mord, Großbetrug oder Vergewaltigung. Ein politisches und juristisches Bezugssystem aber, das das menschliche Leben geringer wertschätzt als Eigentum, sollte sich nicht über einen Werteverfall beklagen, den sie selbst induziert haben.
Auf der anderen Seite mußten wir feststellen, daß die sogenannten „Sozialromantiker" auch perfekt organisierte Abzocker waren, die die Ausbeutung der Verwahrten in Zehntel-Pfennig-Beträgen vorantrieben, obwohl diese Aktivitäten verfassungswidrig waren und trotzdem 50 Jahre lang als verfassungskonformes Verhalten verschleiert wurden. Dadurch war es z.B. Eigentumstätern weder möglich, sich selbst zu konsolidieren, noch den Schaden zu ersetzen. Ja, sie mußten sogar erleben, daß beschlagnahmte Gelder nicht an die Geschädigten zurückgegeben, sondern die Gerichtskosten etc. davon beglichen wurden. Natürlich hat die Justiz die Geschädigten nie darüber informiert, daß sie, die Justiz, diese Gelder lieber für ihre Arbeit abdeckt, als die Geschädigten auszuzahlen. So wurde sehr deutlich, daß hier weder die Täter noch die Opfer interessierte, sondern lediglich das justitielle Eigeninteresse! Deshalb ist auch die Scheindebatte über „Opferschutz" vor „Täterschutz" ziemlich absurd, da weder das eine noch das andere je im Mittelpunkt des Interesses stand. Was dieser Staat wirklich von Opferschutz hält, kann man auch daran erkennen, wie die Opfer von Katastrophen abgespeist und vorgeführt werden. Man denke z.B. an die perfide Ramstein-Abspeisung. Solche Beispiele rauben den Opfern jede Illusion über den tatsächlichen Willen zur materiellen Entschädigung. Auch das Argument, daß Verurteilte keinerlei Rechtsansprüche auf Bezahlung der geleisteten Arbeit hätten, war nur ein Scheinargument, denn auch Nichtverurteilte, die lediglich Pech im Leben hatten und behindert geboren wurden, wurden und werden weiterhin nach demselben Muster in den Behindertenwerkstätten ausgebeutet wie im Knast ohne Verurteilung oder irgendeinem Fehlverhalten. Es kommt hier in Wirklichkeit also gar nicht darauf an, was eine Person getan oder nicht getan hat, sondern es geht nur darum, daß Personen, die sich in einer schwachen Position befinden, von stärkeren Gruppen- und Machtinteressen ausgenutzt werden und dieser gruppenspezifische Egoismus sich auch noch generös als „Sozialromantik" feiern läßt. Wir wollen deshalb lieber nicht die Frage stellen, wer hier mehr „degeneriert" ist, die Jugend oder die senilen Demagogen ?!
Nach meiner Erfahrung hat es für die absolute Mehrheit der Gefangenen nie eine „weiche Welle" mit einer „Sozialromantik" gegeben. Wie wollen also die Altparteien etwas abschaffen, was es für diese Mehrheit nie gegeben hat? Außer für ein paar Privilegierte!
Weiter wird dann sogar die Justiz beschuldigt (wieder einmal aus der „goldenen Mitte"), daß sie eine Art Massenmißbrauch mit der „individuellen Schuld" der Angeklagten betrieben habe, indem sie die individuelle Schuld gleichsam abstreifte und alles entschuldigte. Was für naive Glaubensvorstellungen Politiker über die Justiz haben - hier sogar noch mit zusätzlichem Philosophen-Titel -, ist schon erstaunlich. Er, der Politiker und Philosoph, lanciert: „Mit der prinzipiellen Trauma-tisierung der eigenen Geschichte wurde jeder Erklärungsversuch zu einer individuellen Entschuldigung mißbraucht, die individuelle Schuld gleichsam abstreifte."
Nun, in Wirklichkeit wurde gar nichts „abgestreift", weder auf der einen noch auf der anderen Seite, denn Juristen lassen keinen Angeklagten entkommen, ohne dessen individuelle Schuld zu bewerten. Ganz im Gegenteil, jeglicher Versuch, die Hintergründe einer Tat aufzuhellen, wurde sofort als sogenannte „Schutzbehauptung" denunziert. Mit anderen Worten, Ursachenforschung hat niemand interessiert. Ja, sie wurde gleichsam ausgeblendet, um in der persönlichen moralischen Gesinnung die individuelle Schuld ermessen zu können und nicht etwa an den Gesamtumständen.
Überdies gibt es niemanden, der die Macht hätte, die individuelle Schuld einfach so - wie ein Hemd - abzustreifen. Da müßte dieser Philosoph schon in die Kirche gehen, dort soll es von höherer Stelle zur Vergebung „aller Sünden" kommen, aber nicht bei Juristen.
Was aber soll diese Schaumschlägerei und gespenstige Debatte, hier Dinge leidenschaftlich einzufordern, die es schon immer gab und auch von den Juristen hochgehalten wurden, aber von der „goldenen Mitte" nicht wahrgenommen werden? Durch diese Verzerrungen und Tilgungen im politischen Bewußtsein wird dann gar ein „Paradigmawechsel eingefordert, wonach die „Unveränder-barkeit" des Menschen festgeschrieben werden soll, um ihn nach altbekanntem Muster für die Zukunft psychologisch auf eine noch „härtere Gangart" vorzubereiten, obwohl wir alle wissen, daß der Mensch sich ständig wandelt und ändert und nicht nur ein gleichbleibendes Produkt der Vergangenheit ist. Es sei denn, wir wären alle Schwachsinnige, die weder lern- noch einsichtsfähig seien. Aus diesem Blickwinkel betrachtet werden hier einzelne extrem pathologische Fälle generalisiert und auf die Allgemeinheit übertragen, um gleichsam den großen Kollektiv-Rundum-Schlag zu starten. Als eine Konfliktvermeidungsstrategie kann man dies nicht gerade betrachten. Poitiker aber, die die Bevölkerung mit Scheindebat-ten über Kriminalität hinters Licht führen betreiben lediglich Volksverdummung, denn wir dürfen aufgrund unseres Hinter-grundwissens vermuten, daß die Kriminalität auch dazu benutzt wird, ein ganzes Volk unter Generalverdacht zu stellen, um so nach und nach die bürgerlichen Freiheitsrechte zu kapern und die staatlichen Organe mit noch mehr Kontroll- und Strafmacht auszustatten. Auf diese Weise wird das ganze Volk in eine kollektive und geistig-psychische Geißelhaft genommen und generalverdächtig beobachtet und reglementiert. Dies soll eine wirklich gutdurchdachte und humane Politik sein? Da wittern die „Alpha"-Tiere viel Delinquenz!
(uho)

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