Das Bundesverfassungsgericht hat sich inzwischen in einem Verfahren mit der Arbeitssituation von Gefangenen zu beschäftigen gehabt. In einem am 1.7.1998 ergangenen Urteil hat es entschieden, daß es zwar verfassungsgemäß sei, wenn Gefangene zur Arbeit verpflichtet werden und wenn sie nicht in die Sozialversicherung einbezogen werden, daß es jedoch dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot widerspreche, wenn dem Gefangenen für seine Arbeit eine derart niedrige Entlohnung gezahlt werde. Im Einzelnen hat das Bundesverfassungsgericht hierzu u.a. ausgeführt:
1. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot fordert, Gefangenenarbeit angemessen anzuerkennen. Die derzeit in § 200 Abs.1 Strafvollzugsgesetz vorgesehene Vergütung in Höhe von 5 % des durchschnittlichen Arbeitsentgeltes aller in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten entspricht diesem Gebot nicht. § 200 Abs. 1 StVollzG ist mit dem GG unvereinbar. Er bleibt jedoch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung - längstens bis zum 31. Dezember 2000 - in Kraft.
2. Die gesetzliche Arbeitspflicht der Gefangen ist mit dem GG vereinbar. Die Zuweisung einer Pflichtarbeit ist jedoch von Verfassungs wegen an den öffentlich -rechtlichen Verantwortungsbereich der Vollzugsbehörden geknüpft und auf diesen beschränkt.
3. Es ist ebenfalls mit dem GG vereinbar, Strafgefangene nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Der Senat führt aus, daß es verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, die Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung einem besonderen - noch nicht erlassenen - Bundesgesetz vorzubehalten. Durch die im Gesetz vorgesehene, jedoch nicht in Kraft getretene Regelung sollten die jeweiligen Gefangenen in die soziale Sicherungssystem auf einer Bemessungsgrundlage von 90 % der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße einbezogen werden. Ein solcher sozialversicherungsrechtlicher Schutz für Gefangene ist weder vom verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot gefordert noch vom Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geboten. Er müßte sich nach Aussage der in der mündlichen Verhandlung gehörten Sachverständigen des Sozialversiche-rungsrechts im Gegenteil gerade unter Gleichheitsgesichtspunkten rechtfertigen.
4. Die Bemessung des Arbeitsentgeltes durch § 200 Abs. 1 StVollzG ist hingegen mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisie-rungsgebot unvereinbar. In seiner gegenwärtigen Höhe kann es zur Resozialisierung nicht beitragen, weil der Gefangene durch das ihm tatsächlich zukommende Entgelt nicht im gebotenen Mindestmaß davon überzeugt werden kann, daß Erwerbsarbeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll ist.
a) Die sozialrechtliche Bezugsgröße des Jahres 1997 führt zu einem Arbeitsentgelt von etwa 1,70 DM pro Stunde. Das bringt dem Gefangenen durchschnittlich nicht viel mehr als 200 DM im Monat. Dies genügt nicht dem vom Resozialisierungsgebot geforderten Mindestmaß, was im übrigen auch von den Sachverständigen bestätigt worden ist, soweit sie zur Entgelthöhe Stellung genommen haben.
Neben dem Arbeitsentgelt lassen sich keine wesentlichen weiteren Vorteile feststellen, die dem Gefangenen gerade aufgrund seines Arbeitseinsatzes gewährt würden. Das gilt auch für die Bereitstellung von Einrichtungen und Leistungen der Freizeitgestaltung in der Anstalt. Hierbei erfährt nicht der einzelne Gefangene die Anerkennung der gerade von ihm erbrachten Arbeit. Es handelt sich vielmehr um psychische und soziale Betreuung, die zwar im Sinne des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots positiv zu bewerten sein mag, die aber in der einen oder anderen Form allen Gefangenen zuteil wird.
b) Diese Erwägungen führen den Senat zur Feststellung, daß § 200 Abs. 1 StVollzG mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisie-rungsgebot unvereinbar ist.
Es mochte zwar verfassungsrechtlich vertretbar gewesen sein, daß der Gesetzgeber den Gefangenen in den Jahren der Einführung des StVollzG (1976) nur ein Arbeitsentgelt in Höhe von 5 % der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße zugestand, weil die für die Finanzierung zuständigen Länder ihre Einrichtungen organisatorisch anzupassen und im übrigen finanzplanerische Vorkehrungen zu treffen hatten. Die dem Gesetzgeber zuzugestehende Übergangszeit ist aber inzwischen verstrichen. Allerdings muß bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine Rechtsgrundlage zur Verfügung stehen. Der Senat ordnet deshalb an, daß § 200 Abs. 1 StVollzG zunächst, längstens bis zum 31. Dezember 2000, anwendbar bleibt. Unbeschadet der Pflicht des Gesetzgebers, umgehend tätig zu werden, geht das Gericht davon aus, daß für die Überarbeitung der gesetzlichen Grundlagen eine gewisse Zeit benötigt wird.
d) Für die Freie und Hansestadt Hamburg betont deren Justizbehörde, daß die Zuweisung von Arbeit ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis begründe, bei dem nur das in § 200 Abs. 1 StVollzG bestimmte Entgelt gezahlt werden dürfe. Eine solche gesetzliche Ausgestaltung der durch Art. 12 Abs. 3 GG zugelassenen Ar-beitspflicht mache den Gefangenen nicht zum Objekt eines unbegrenzten staatlichen Herrschaftszugriffs. Zur Arbeit bei einem geringen Entgelt zu verpflichten, verstoße auch nicht gegen das Verbot des Arbeitszwangs gemäß Art. 12 Abs. 2 GG und gegen Grundrechte, in die unter Beachtung von Art. 12 Abs. 3 GG auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werde. Auch § 200 Abs. 2 StVollzG begründe keinen Anspruch des Gefangenen auf ein höheres Arbeitsentgelt. Die Vorschrift enthalte lediglich eine Selbstverpflichtung des Gesetzgebers zur Prüfung einer Erhöhung des Arbeitsentgeltes, nicht aber zu dessen tatsächlicher Erhöhung.
Ob § 200 Abs. 1 StVollzG dann gegen Art. 2 Abs. 1 GG und das in Art. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip verstieße, wenn alle Gefangenen ausschließlich auf das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG angewiesen und ihnen alle weiteren Verdienstmöglichkeiten verwehrt wären, brauche nicht abschließend geklärt zu werden. Nicht alle Gefangenen seien - anders als im Vorlagebeschluß dargestellt - ausschließlich auf Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG angewiesen. Jedem Gefangenen sei es bei adäquater Führung und der von § 4 StVollzG geforderten Mitarbeit am Vollzugsziel rechtlich und - zumindest in der Freien und Hansestadt - auch tatsächlich möglich, in einem freien Beschäftigungsverhältnis zu arbeiten. In dieser Beschäftigungsform arbeite der Gefangene - zumeist während des letzten Halbjahres seiner Haft - außerhalb der Justizvollzugsanstalt und erhalte dafür regelmäßig den örtlich geltenden Tariflohn. Darüber hinaus gebe es in der Freien und Hansestadt Hamburg seit 1990 für die Gefangenen die Möglichkeit, innerhalb von Justizvollzugsanstalten in zwei Privatfirmen einem Arbeitsverhältnis zum Tariflohn nachzugehen. Insgesamt liege in Hamburg der Anteil der in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigten Gefangenen im Berichtszeitraum (1995) bei 20 v.H. Sie erhielten Tariflohn und seien renten- sowie krankenversichert. Bei ihnen sei also dem Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG in vollem Umfang Genüge getan."
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes blieb für viele, bei weitem nicht nur für
Gefangene, hinter den Erwartungen zurück. Die Klage verschiedener Gefangener und ihrer
Rechtsanwälte hatte damit ebenso nur teilweise Erfolg wie eine Vorlage an das BVG durch
das Landgericht Potsdam, das ein entsprechendes Urteil dem BVG zwecks Prüfung auf seine
Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hatte. Bereits im Vorfeld hatte eine Art öffentliches
Trommelfeuer durch verschiedene Länderjustizverwaltungen eingesetzt, die vor allem mit
dem Argument der "nicht bezahlbaren höheren Löhne" für Gefangene versucht
hatten, entsprechenden auch öffentlichen Druck auszuüben. Ob dies gelungen ist und ein
solcher Druck Eingang in das BVG-Urteil fand, mag dahingestellt bleiben, allerdings ist es
eine Tatsache, daß dies Urteil eher als eine Art Kompromiß verstanden werden muß.
Die Zustände in den bundesdeutschen Strafanstalten sind nicht nur im Bereich Arbeit und
Ausbildung sprichwörtlich miserabel. Wenn Gefangenen, wie wir wie viele Fachleute auch
bereits vor Jahren immer wieder gesagt haben, für eine ihnen auch noch zwangsweise
zugewiesene Arbeit lediglich ein Sklavenlohn gezahlt wird, so macht man dem Gefangenen
lediglich deutlich, daß man über die entsprechende Macht verfügt, ihn auszubeuten. Man
macht ihm jedoch nicht deutlich, daß und warum es notwendig oder sinnvoll ist, seinen
Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten. Dies hat auch das BVG
nun in seinem Urteil festgeschrieben. Die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, hat es
jedoch nicht wirklich berücksichtigt, sondern sich vielleicht auch von den maroden
Finanzen und dem ebenso maroden tatsächlichen Zustand der Arbeitsverwaltungen und
Arbeitsbetriebe in bundesdeutschen Gefängnissen beeinflussen lassen. Hätte das BVG auch
nur an diesem Punkt wirklich Konsequenz gezeigt, so wären für die Länderhaushalte ob
der miserablen Organisation enorm hohe Kosten unvermeidbar gewesen; dies hat man
offensichtlich vermeiden wollen. Der eher faule Kompromiß, den man gefunden hat lautet
denn auch sinngemäß: ja, es ist verfassungswidrig, aber wir dulden es noch eine Weile,
und wie genau es dann zu verändern ist, sei dem Gesetzgeber überlassen. Zu befürchten
ist, daß die Justizverwaltungen diesen Spielraum nicht nur zeitlich ausnutzen werden,
sondern auch dergestalt, daß z.B. - ähnlich wie bei sog. "Freigängern" heute
- ein entsprechender Haftkostenbeitrag erhoben wird, der die dann gezahlte höhere
Entlohnung wieder auf ein Niveau drückt, das nicht sehr über dem jetzigen liegt. Dem
Spruch des BVG wäre Genüge getan, ohne daß es den Verwaltungen wirklich etwas ausmachen
würde. Und die Gefangenen wären weiterhin - im Gegensatz zu ihren Kollegen in
verschiedenen europäischen Ländern wie z.B. Skandinavien oder Holland - der
Zwangsausbeutung ausgeliefert.
Gänzlich schief wird das BVG-Urteil dann, wenn es das Gericht für mit der Verfassung
vereinbar hält, daß Gefangene nicht in die Sozialversicherung einbezogen sind. Das geht
zugegebenermaßen anderen Personengruppen wie z.B. Behinderten ebenso, aber das ist noch
lange kein Grund, derart eklatante Mißstände und Ungerechtigkeiten für
verfassungsgemäß zu erklären. Zu einer wirklichen Regelung im Geiste der Väter unserer
Verfassung hat sich das Gericht jedoch nicht durchringen können - aus Angst, damit zu
viel Staub aufzuwirbeln, sich zu großer Kritik auszusetzen, auch und gerade in einer
Zeit, die bestimmt nicht durch soziale Reformen geprägt ist? In einer Zeit, in der
ungestraft öffentlich darüber nachgededacht wird, das erwähnte verfassungsrechtliche
Resozialisie-rungsgebot abzuschaffen (so z.B. verschiedene Politiker der CDU/CSU), hätte
es selbst für das BVG einer gehörigen Portion Mut bedurft, tatsächlich und de facto wie
de jure eine verfassungsrechtlich einwandfreie und menschlich angemessene Regelung
einzufordern. Wäre es wirklich verfassungsgemäß, daß jemand jahrelang Zwangs-arbeit
verrichtet, zu mehr oder eben etwas weniger mieser "Bezahlung", und dafür
keinen Pfennig zu seiner Altervorsorge beitragen kann, so daß er dann im Alter
voraussichtlich in bitterer Armut leben muß, so könnte mit dieser unserer Verfassung
etwas nicht stimmen. Da sie aber ebenfalls auslegbar und damit quasi verhandelbar ist,
zeigt sich auch und gerade an diesem Urteil, daß die Unabhängigkeit der Gerichte auf dem
Papier existieren mag, die Praxis jedoch anders aussieht. Selbst das höchste deutsche
Gericht wird es sich zweimal überlegen, eine Regelung für Straftäter einzufordern, die
die öffentlichen Haushalte hoch belastet und einen immensen organisatorischen Aufwand der
Verwaltungen bedeuten würde. Auch dies Gericht weiß um den realen Zustand sowohl des
bundesdeutschen Strafvollzuges als auch des momentanen Zeitgeistes. Und nicht nur über
den Stammtischen der Republik, sondern von Ausnahmen abgesehen fast überall ist die Luft
ziemlich dünn für derart - eigentlich notwendige - verfassungsgemäße Höhenflüge. So
also ist aus dem eigentlich notwendigen Zeichen, das hätte gesetzt werden müssen - und
können, so das Gericht im besten Sinne unabhängig wäre - der eher verunglückte, weil
durchsichtige Versuch geworden, es den einen (den Gefangenen) nicht völlig zu versagen,
es den anderen (den Justizverwaltungen) aber auch nicht wirklich schwer zu machen.
Verfassungsrichter jedoch, und das ist das eigentlich bedenkliche an dieser Entscheidung,
die ihre Urteile nicht mehr einzig und allein an der Verfassung, am Grundgesetz
ausrichten, sondern an dem, was "finanziell zumutbar" oder möglich oder
opportun ist oder zu sein scheint, tun damit weder sich noch dem Grundgesetz einen
Gefallen. Sie stärken bewußt oder unbewußt die Ansichten jener, die immer schon der
Meinung waren, vor dem Gesetz seien alle gleich, nur manche eben etwas gleicher. Doch
andererseits, und das sei vielleicht denen gesagt, die sich über dies Urteil ärgern oder
gar wundern: auch die Richter des höchsten deutschen Gerichtes leben nicht im
Elfenbeinturm, sondern sind Teil einer Gesellschaft, die insgesamt gesehen weder die
Ausbeutung von Menschen durch andere noch z.B. aktuell die Ausweisung eines Jugendlichen
mit allen Mitteln und ohne jede menschliche Regung für besonders verwerflich oder auch
nur beachtenswert hält. Das, was tagtäglich in dieser unserer Gesellschaft geschieht, in
allen Bereichen, vor wie hinter den Knastmauern, ist bei weitem schlimmer als der Versuch
einiger Verfassungsrichter, sich einigermaßen aus der Affäre zu ziehen.
Daß es übrigens gerade die Hamburger Justizbehörde für notwendig gehalten hat, sich
neben anderen ebenso eindeutigen wie ablehnenden Ausführungen selbst zu loben, weil man
doch im Bereich Arbeit und Tariflohn angeblich so fortschrittlich sei, spricht für sich.
Auch da spricht allerdings die Realität eine ganz andere Sprache (siehe den Artikel auf
Seite...). Doch wie sagte einmal ein Verantwortlicher der Justizbehörde, beim Lügen vor
Gericht erwischt: Wenn man vor Gericht gewinnen will, muß man halt schon etwas
bringen ...".
(jes)