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Kulturveranstaltung II

Angenehme Momente mit Seltenheitswert ...

Eine neue Freizeitgruppe, die kurdische Kulturgruppe, stellte sich am Freitag den übrigen Insassen von Santa Fu mit einer Veranstaltung vor, die man gut und gerne als Beispielhaft bezeichnen könnte.
Eine Gruppe Gefangener, gemischt mit einigen Helfern und Musikern von draußen hatte eingeladen und bot uns in der Kirche einen "Bunten Nachmittag". Kurdische Musik, Folklore und Theater standen auf dem Programm.
Der Einladung der kurdischen Kulturgruppe waren Insassen verschiedenster Nationalitäten gefolgt, zeitweise hielten sich über 200 Insassen in der Kirche auf und lauschten den Klängen der (für viele von ihnen fremd klingenden) Musik.
Während die Musiker, zu denen auch Gino (an der Gitarre) und René (am Keyboard) gehörten, die Besucher der Veranstaltung unterhielten, wurde _ wohl zur Überraschung der meisten von uns _ kurdische Gastfreundschaft demonstriert. Jeder der Anwesenden wurde zum Gast - jedem wurde Gebäck und Getränk gereicht.
Auch wenn ich selber die Worte der verschiedenen Lieder, der Begrüßungsrede und des Theaterstückes nicht verstehen konnte, was ich verstanden habe war, daß auch unter Insassen einer Haftanstalt wie Santa Fu, in der die verschiedensten Kul-turgruppen miteinander auf engstem Raum Koexistieren müssen, Harmonie zu erzeugen ist. Man muß nur wollen!
Ich jedenfalls habe einen sehr angenehmen Nachmittag verbringen dürfen und möchte mich dafür bei den Organisatoren und den Mitgliedern der kurdischen Kulturgruppe bedanken. Man kann nur hoffen, daß solche Bespiele Schule machen und wir des öfteren noch das Vergnügen haben dürfen, an solchen oder ähnlichen Veranstaltungen (z.B. russische Folklore wäre mein Wunsch) teilzunehmen.
(wow)

Nachstehend sinngemäß die Begrüßungsrede der Veranstaltung für diejenigen, die den Wortlaut nicht verstehen konnten und mit dem sich die neue Freizeitgruppe gleichzeitig vorstellt und ihre Ziele beschreibt:
Vielen Menschen ist bekannt, daß die Kurden ein unterdrücktes Volk sind, daß ihre Heimat seit vielen Jahren gevierteilt ist (Iran/Irak/Syrien/Türkei) und daß es seit Jahren einen Befreiungskampf gibt. Die Kurden waren Bewohner von Mesopotanien und lebten schon viele tausend Jahre vor Christi. Sie waren ein eigenständiges Volk und haben der Menschheit Kultur vererbt.
Die Kolonialisten von Kurdistan haben aus Gier nach Macht einen schmutzigen Krieg angefangen, machten über viertausend kurdische Dörfer unbewohnbar und haben über fünftausend Intellektuelle, Journalisten und andere Gegner ihres schmutzigen Krieges „verschwinden" lassen (die Leichen vieler wurden bis heute nicht gefunden). Mehr als 5 Millionen Kurden wurden zur Flucht gezwungen, aus ihrer Heimat vertrieben, gezwungen sich ein Asyl zu suchen. Viele sind darum nach Deutschland gekommen und einige leider auch hinter die Mauern hier.
Nach allem was uns angetan wurde wollen wir nicht auch noch zusehen, wie unsere Kultur in die Vergessenheit gepreßt werden soll und haben deshalb die kurdische Kulturgruppe gegründet. Wir wollen unsere Kultur nicht sterben lassen sondern ihre Schönheit und Harmonie bewahren, sie für die Zukunft pflegen - denn ohne Kultur kann kein Volk leben. Jeder der sich an der kurdischen Kultur mit uns gemeinsam erfreuen, sie mit uns gemeinsam pflegen, sie leben und am Leben erhalten möchte, ist herzlichst eingeladen Mitglied unserer Freizeitgruppe zu werden.

Ibrahim Imak

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