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Das Scheitern des Modells war kalkuliert ...

Ein Situationsbericht, der im Juli 1996 im blickpunkt erschien ...

Wie in den letzten Ausgabe geschildert, ist die Ausbeutung von Gefangenen im Strafvollzug die Regel, das ist auch in Hamburg nicht anders. Daß es auch anders geht, beweist bereits seit einiger Zeit ein Modellversuch, um den es in der letzten Zeit allerdings immer stiller geworden ist: das sog. „Hamburger Modell". Was hat es damit auf sich?
1991 beschloß die Justizbehörde, einen „Modellversuch" durchzuführen und zu erproben, ob und wie es möglich ist, Gefangenen auch innerhalb des Vollzuges - also nicht nur sog. „Freigängern", die bei einer Firma außerhalb des Knastes arbeiten - Tariflohn zu zahlen und sie auch sonst wie „normale" Arbeitnehmer zu behandeln. Die Initiative ging allerdings hierbei nicht von der Justizbehörde aus, sondern von einzelnen Unternehmern. Diese hatten sich, seit längerem unzufrieden mit der geringen „Arbeitsproduktivität", überlegt, daß diese natürlich abhängig ist von den Arbeitsbedingungen, und so traten sie mit der Anregung an die Justizbehörde heran, diese Bedingungen doch denen „draußen" anzugleichen. Die Justizbehörde prüfte, und schließlich entschloß man sich, einen Versuch zu wagen. An diesem Modellversuch nahmen schließlich zwei Firmen teil, eine davon, in der dieses Modell auch heute noch praktiziert wird, soll hier einmal vorgestellt werden.
Die Firma Gonse stellt Werbeständer und andere derartige Dinge aus Metall her, hauptsächlich werden Materialien wie Blech und Draht in verschiedenen Formen verarbeitet. Die Firma ist auf dem Gelände der Anstalt 12, einer der sog. „offenen Anstalten", in Neuengamme ansässig. Sie beschäftigt durchschnittlich
10-12 Gefangene, hinzu kommen außerdem 4-5 „externe" Mitarbeiter. Zu Beginn des Modellversuches gab es, so der Inhaber der Firma, Herr Gonse, gegenüber dem blickpunkt, zunächst diverse Anlaufprobleme, vor allem mit der Knastverwaltung. Diese war nicht darauf eingerichtet, Gefangene, die innerhalb des Knastes arbeiten, tatsächlich wie „normale" Arbeitnehmer zu behandeln. Die Gefangenen sind z.B. in die Sozialversicherung einbezogen, sie zahlen Renten- und Krankenversicherungsbeiträge, und sie werden also auch ärztlich nicht im Knast behandelt, sondern gehen „draußen" zum Arzt. Hierfür müssen ihnen allerdings Ausgänge gewährt werden, und derartige Abläufe waren naturgemäß für die zuständige Verwaltung neu und deshalb erst einmal suspekt. Daher weigerten sich einige Abteilungsleiter, den Gefangenen Ausgänge für Arztbesuche zu gewähren. Es bedurfte diverser Interventionen seitens des Betriebes, bevor auch nur derartige Dinge einigermaßen reibungslos liefen - und das gilt nicht nur für Arztbesuche.
Gefangene, so die Vereinbarung, werden in der Firma als sog. „Schlosserhelfer" eingesetzt. Wer sich für einen derartigen Job interessiert, absolviert zunächst eine zweimonatige „Probezeit". In diesen zwei Monaten wird er nach wie vor von der Justizbehörde „entlohnt" und erhält täglich DM 9,91, was der „Vergütungsstufe 4" entspricht. Nach der Probezeit schließt die Firma mit dem einzelnen Gefangenen einen Arbeitsvertrag ab, ab sofort ist der Gefangene dann renten- und krankenversichert und erhält 1,5 Tage bezahlten Urlaub pro Monat. Der durchschnittliche Brutto-Monatslohn beträgt ca. DM 2800.-, das bedeutet etwa DM 1800.- bis 2000.- netto. Von diesem Lohn behält die Justiz derzeit DM 570.- als „Haftkostenbeitrag" ein, weitere DM 100.- monatlich werden als „Über-brückungsgeld" zwangsweise für die Zeit nach der Entlassung angespart. Für bis zu DM 300.- monatlich kann der Gefangene einkaufen, also zusätzliche Nahrungs- und Genußmittel, Mittel für die Körperpflege und anderes mehr kaufen. Schließlich bietet die Firma allen Mitarbeitern ein eigenes Mittagessen, für das monatlich DM 70.- berechnet werden.
Es verbleiben dem Gefangenen also zwischen 900.- und 1200.- DM monatlich zur freien Verfügung. Hiervon kann er, sofern dies notwendig ist, Schuldenregulierung betreiben, seine Familie unterstützen oder auch das Geld auf ein Sparbuch legen. Es versteht sich, daß allein die finanziellen Möglichkeiten mit denen „normaler" Gefangener nicht zu vergleichen sind. Gleichzeitig aber - und das ist mindestens ebenso wichtig - fühlt sich der Gefangene so nicht als absolut ausgebeutetes Objekt, sondern hat das Gefühl, für seine Arbeitsleistung tatsächlich einen entsprechenden Lohn zu erhalten. „Einmal abgesehen davon, daß ich in meiner Firma derart krasse Unterschiede in der Bezahlung nicht möchte, ist das natürlich auch eine Frage der Arbeitsproduktivität", sagt der Chef des Unternehmens. Er kann sich noch an frühere Zeiten erinnern, in denen „sehr viel mehr Ausschuß produziert wurde". Das ist jetzt anders geworden, alle Beschäftigten bemühen sich und gehen mit entsprechend mehr Motivation an ihre Arbeit, auch und gerade die Gefangenen.
Die Zusammenarbeit mit der Justizbehörde sei, so Betriebsinhaber Gonse, „nicht so gut". Erst kürzlich hat man die Miete für das Werksgebäude auf dem Anstaltsgelände erhöht, sonstige Unterstützung für den Betrieb gibt es nicht. Zwar sei die Auftragslage eigentlich gut, einer Ausweitung des Modells aber sperrt sich die Behörde. „Ich würde durchaus noch einige Gefangene mehr einstellen können", so Herr Gonse in einem Gespräch vor Ort, „aber das wird offensichtlich gar nicht gewollt". Er kann sich auch durchaus vorstellen, daß andere Betriebe diesem Beispiel folgen würden, allerdings setzt dies die Bereitschaft der Verantwortlichen in der Behörde voraus, und die ist ganz offensichtlich nicht vorhanden. Wenn die Behörde darüber hinaus an den Voraussetzungen arbeite und wirklich Anstrengungen unternehmen würde, um mehr Betrieben eine derartige Ansiedlung auf dem Anstaltsgelände zu ermöglichen, so könnten auf diese Weise sicher etliche „normale" Arbeitsplätze geschaffen, das Modell immer mehr ausgeweitet werden. Ein weiteres Problem aus der Sicht des Arbeitgebers ist die Tatsache, daß seine Mitarbeiter von der Verwaltung nach wie vor wie Gefangene behandelt werden - das soll heißen, man glaubt, über diese beliebig verfügen zu können. Außerdem würden Familien von Gefangenen, die bei ihm arbeiten und z.B. Sozialhilfe beziehen, teilweise sogar die Sozialleistungen gekürzt oder ganz gestrichen - eine Vorgehensweise, die, so Betriebsleiter Gonse, „der Wiedereingliederung nicht gerade dienlich sein dürfte". Und wenn der Gefangene selbst bei der Entlassung oder aus besonderen Gründen etwa einen Antrag auf Sozialleistungen - beispielsweise zum Kauf von Bekleidung oder einer Beihilfe bei der Wohnungseinrichtung - stelle, werde dieser regelmäßig abgelehnt. Sparen und Streichen hat man also schnell gelernt - die Gefangenen selbst entsprechend zu behandeln, steht hingegen nicht auf dem Plan der Behörden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß selbst in der dortigen „offenen" Anstalt von 260 Gefangenen im Schnitt 80 Gefangene ohne jede Arbeit sind.
Bei der damaligen Einführung jenes „Hamburger Modells" hat man sich in der Justizbehörde gegenseitig auf die Schulter geklopft, hatte man doch demonstriert, wie „fortschrittlich" Hamburg im Gegensatz zu anderen Bundesländern sei. Heute wird das „Hamburger Modell" offensichtlich nur noch als Auslaufmodell begriffen, und es werden nicht die geringsten Anstrengungen unternommen, um den eingeschlagenen Weg auch nur fortzusetzen, geschweige denn auszubauen. Das Strohfeier ist abgebrannt, und die Arbeitssituation von Gefangenen tatsächlich, langfristig und dauerhaft zu verändern, ist nicht gewollt. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen scheitert also nicht einmal am Unwillen von Unternehmern, schon gar nicht an der mangelnden Bereitschaft der Gefangenen - sie scheitert an der Ignoranz und Dummheit der Verantwortlichen in der Justizbehörde.

(jes)

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