Wie in den letzten Ausgabe geschildert, ist die Ausbeutung von
Gefangenen im Strafvollzug die Regel, das ist auch in Hamburg nicht anders. Daß es auch
anders geht, beweist bereits seit einiger Zeit ein Modellversuch, um den es in der letzten
Zeit allerdings immer stiller geworden ist: das sog. Hamburger Modell". Was hat
es damit auf sich?
1991 beschloß die Justizbehörde, einen Modellversuch" durchzuführen und zu
erproben, ob und wie es möglich ist, Gefangenen auch innerhalb des Vollzuges - also nicht
nur sog. Freigängern", die bei einer Firma außerhalb des Knastes arbeiten -
Tariflohn zu zahlen und sie auch sonst wie normale" Arbeitnehmer zu behandeln.
Die Initiative ging allerdings hierbei nicht von der Justizbehörde aus, sondern von
einzelnen Unternehmern. Diese hatten sich, seit längerem unzufrieden mit der geringen
Arbeitsproduktivität", überlegt, daß diese natürlich abhängig ist von den
Arbeitsbedingungen, und so traten sie mit der Anregung an die Justizbehörde heran, diese
Bedingungen doch denen draußen" anzugleichen. Die Justizbehörde prüfte, und
schließlich entschloß man sich, einen Versuch zu wagen. An diesem Modellversuch nahmen
schließlich zwei Firmen teil, eine davon, in der dieses Modell auch heute noch
praktiziert wird, soll hier einmal vorgestellt werden.
Die Firma Gonse stellt Werbeständer und andere derartige Dinge aus Metall her,
hauptsächlich werden Materialien wie Blech und Draht in verschiedenen Formen verarbeitet.
Die Firma ist auf dem Gelände der Anstalt 12, einer der sog. offenen
Anstalten", in Neuengamme ansässig. Sie beschäftigt durchschnittlich
10-12 Gefangene, hinzu kommen außerdem 4-5 externe" Mitarbeiter. Zu Beginn des
Modellversuches gab es, so der Inhaber der Firma, Herr Gonse, gegenüber dem blickpunkt,
zunächst diverse Anlaufprobleme, vor allem mit der Knastverwaltung. Diese war nicht
darauf eingerichtet, Gefangene, die innerhalb des Knastes arbeiten, tatsächlich wie
normale" Arbeitnehmer zu behandeln. Die Gefangenen sind z.B. in die
Sozialversicherung einbezogen, sie zahlen Renten- und Krankenversicherungsbeiträge, und
sie werden also auch ärztlich nicht im Knast behandelt, sondern gehen
draußen" zum Arzt. Hierfür müssen ihnen allerdings Ausgänge gewährt
werden, und derartige Abläufe waren naturgemäß für die zuständige Verwaltung neu und
deshalb erst einmal suspekt. Daher weigerten sich einige Abteilungsleiter, den Gefangenen
Ausgänge für Arztbesuche zu gewähren. Es bedurfte diverser Interventionen seitens des
Betriebes, bevor auch nur derartige Dinge einigermaßen reibungslos liefen - und das gilt
nicht nur für Arztbesuche.
Gefangene, so die Vereinbarung, werden in der Firma als sog. Schlosserhelfer"
eingesetzt. Wer sich für einen derartigen Job interessiert, absolviert zunächst eine
zweimonatige Probezeit". In diesen zwei Monaten wird er nach wie vor von der
Justizbehörde entlohnt" und erhält täglich DM 9,91, was der
Vergütungsstufe 4" entspricht. Nach der Probezeit schließt die Firma mit dem
einzelnen Gefangenen einen Arbeitsvertrag ab, ab sofort ist der Gefangene dann renten- und
krankenversichert und erhält 1,5 Tage bezahlten Urlaub pro Monat. Der durchschnittliche
Brutto-Monatslohn beträgt ca. DM 2800.-, das bedeutet etwa DM 1800.- bis 2000.- netto.
Von diesem Lohn behält die Justiz derzeit DM 570.- als Haftkostenbeitrag" ein,
weitere DM 100.- monatlich werden als Über-brückungsgeld" zwangsweise für
die Zeit nach der Entlassung angespart. Für bis zu DM 300.- monatlich kann der Gefangene
einkaufen, also zusätzliche Nahrungs- und Genußmittel, Mittel für die Körperpflege und
anderes mehr kaufen. Schließlich bietet die Firma allen Mitarbeitern ein eigenes
Mittagessen, für das monatlich DM 70.- berechnet werden.
Es verbleiben dem Gefangenen also zwischen 900.- und 1200.- DM monatlich zur freien
Verfügung. Hiervon kann er, sofern dies notwendig ist, Schuldenregulierung betreiben,
seine Familie unterstützen oder auch das Geld auf ein Sparbuch legen. Es versteht sich,
daß allein die finanziellen Möglichkeiten mit denen normaler" Gefangener
nicht zu vergleichen sind. Gleichzeitig aber - und das ist mindestens ebenso wichtig -
fühlt sich der Gefangene so nicht als absolut ausgebeutetes Objekt, sondern hat das
Gefühl, für seine Arbeitsleistung tatsächlich einen entsprechenden Lohn zu erhalten.
Einmal abgesehen davon, daß ich in meiner Firma derart krasse Unterschiede in der
Bezahlung nicht möchte, ist das natürlich auch eine Frage der
Arbeitsproduktivität", sagt der Chef des Unternehmens. Er kann sich noch an frühere
Zeiten erinnern, in denen sehr viel mehr Ausschuß produziert wurde". Das ist
jetzt anders geworden, alle Beschäftigten bemühen sich und gehen mit entsprechend mehr
Motivation an ihre Arbeit, auch und gerade die Gefangenen.
Die Zusammenarbeit mit der Justizbehörde sei, so Betriebsinhaber Gonse, nicht so
gut". Erst kürzlich hat man die Miete für das Werksgebäude auf dem
Anstaltsgelände erhöht, sonstige Unterstützung für den Betrieb gibt es nicht. Zwar sei
die Auftragslage eigentlich gut, einer Ausweitung des Modells aber sperrt sich die
Behörde. Ich würde durchaus noch einige Gefangene mehr einstellen können",
so Herr Gonse in einem Gespräch vor Ort, aber das wird offensichtlich gar nicht
gewollt". Er kann sich auch durchaus vorstellen, daß andere Betriebe diesem Beispiel
folgen würden, allerdings setzt dies die Bereitschaft der Verantwortlichen in der
Behörde voraus, und die ist ganz offensichtlich nicht vorhanden. Wenn die Behörde
darüber hinaus an den Voraussetzungen arbeite und wirklich Anstrengungen unternehmen
würde, um mehr Betrieben eine derartige Ansiedlung auf dem Anstaltsgelände zu
ermöglichen, so könnten auf diese Weise sicher etliche normale"
Arbeitsplätze geschaffen, das Modell immer mehr ausgeweitet werden. Ein weiteres Problem
aus der Sicht des Arbeitgebers ist die Tatsache, daß seine Mitarbeiter von der Verwaltung
nach wie vor wie Gefangene behandelt werden - das soll heißen, man glaubt, über diese
beliebig verfügen zu können. Außerdem würden Familien von Gefangenen, die bei ihm
arbeiten und z.B. Sozialhilfe beziehen, teilweise sogar die Sozialleistungen gekürzt oder
ganz gestrichen - eine Vorgehensweise, die, so Betriebsleiter Gonse, der
Wiedereingliederung nicht gerade dienlich sein dürfte". Und wenn der Gefangene
selbst bei der Entlassung oder aus besonderen Gründen etwa einen Antrag auf
Sozialleistungen - beispielsweise zum Kauf von Bekleidung oder einer Beihilfe bei der
Wohnungseinrichtung - stelle, werde dieser regelmäßig abgelehnt. Sparen und Streichen
hat man also schnell gelernt - die Gefangenen selbst entsprechend zu behandeln, steht
hingegen nicht auf dem Plan der Behörden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß
selbst in der dortigen offenen" Anstalt von 260 Gefangenen im Schnitt 80
Gefangene ohne jede Arbeit sind.
Bei der damaligen Einführung jenes Hamburger Modells" hat man sich in der
Justizbehörde gegenseitig auf die Schulter geklopft, hatte man doch demonstriert, wie
fortschrittlich" Hamburg im Gegensatz zu anderen Bundesländern sei. Heute wird
das Hamburger Modell" offensichtlich nur noch als Auslaufmodell begriffen, und
es werden nicht die geringsten Anstrengungen unternommen, um den eingeschlagenen Weg auch
nur fortzusetzen, geschweige denn auszubauen. Das Strohfeier ist abgebrannt, und die
Arbeitssituation von Gefangenen tatsächlich, langfristig und dauerhaft zu verändern, ist
nicht gewollt. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen scheitert also nicht einmal am
Unwillen von Unternehmern, schon gar nicht an der mangelnden Bereitschaft der Gefangenen -
sie scheitert an der Ignoranz und Dummheit der Verantwortlichen in der Justizbehörde.
(jes)