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Summer in the jail ...

Sommerfest 1998 in Santa Fu

Nach wochen- und monatelangen Vorbereitungen war es endlich wieder soweit: Am 29. und 30. August fand in Santa Fu das diesjährige Sommerfest statt. Traditionell ist dies für die Gefangenen die einzige Gelegenheit, Angehörige und Besucher einmal außerhalb des Besuchsraumes zu sehen, insbesondere für die Gefangenen, die keine „Vollzugslockerungen" erhalten. Viele Gefangene freuen sich also schon lange vorher auf das Wochenende im August.
Für das leibliche Wohl war relativ gut gesorgt: Neben bereits Bekanntem wie Würstchen und Fleisch vom Grill wurden Pizza, Döner und Gyros angeboten, und ein Bäckereiwagen lockte die Freunde süßer Speisen mit allerhand Leckereien, wie sie etwa auch Besuchern des Hamburger Doms bekannt sind. Insbesondere die jungen Gäste belagerten den Pommes-Frites-Wagen, und Crêpes fanden ebenfalls dankbare Abnehmer. Außerdem gab es auf Anregungen von Gefangenen Stände mit Obst und Gemüse sowie diversen türkischen Spezialitäten. Und selbstverständlich war auch für heiße wie kalte Getränke gesorgt. In diesem Jahr allerdings konnten die Umsatzerwartungen der Verkäufer nicht erfüllt werden - was u.E. eindeutig an den zu hohen Preisen lag. Wenn für eine Dose Cola DM 1,50 und für eine Portion Pommes Frites DM 4.- (!) gezahlt werden müssen, ist dies zu viel, und wir hoffen, daß man im nächsten Jahr auf die Preisgestaltung wieder ein wachsameres Auge hat.
Auch in diesem Jahr waren verschiedene Gefangene an der Organisation und Durchführung des Sommerfestes beteiligt und packten tatkräftig mit an. Für die Kinder gab es in diesem Jahr - neben der traditionellen BLICKPUNKT-Tombola - eine besondere Kinder-Tombola. Bei einem Lospreis von 0,50 DM und ohne Nieten war hierbei der Losverkauf keine lange Sache, nach wenig mehr als 2 Stunden waren die täglich ca. 1500 Gewinne vergeben. Spielzeug, Stofftiere und vieles mehr war schnell in Kinderhand, und besonders die Hauptpreise waren begehrt: Täglich gab es Elektroautos zu gewinnen, wie man feststellen konnte, waren auch die kleinen Besucher durchaus auf das Auto fixiert. Als „Trostpreise" wurden außerdem Freifahrten mit dem aufgebauten Kinderkarussell verlost, das Karussell, für das bei einem Fahrpreis von ebenfalls DM 0,50 auch Fahrten gelöst werden konnten, stand die gesamte Zeit über kaum still. Neben der Hüpfburg, in der man nach Herzenslust springen und toben konnte, gab es dann das Kinderzelt, in dem Gisela Wiese wieder einmal mit den Kindern bastelte und malte. Als Beobachter hatte man doch das Gefühl, daß die kleinen Gäste mit dem Verlauf des Sommerfestes zufrieden waren - und manchen Eltern blieb so auch ein wenig Zeit für sich, was durchaus beabsichtigt war.
Doch auch für Erwachsene wurde das eine oder andere geboten. Die schon traditionelle Blickpunkt-Tombola war einmal mehr ein voller Erfolg. Bei ca. 9 000 verkauften Losen (Lospreis DM 1.-) wurden mehr als 5000 Gewinne ausgegeben, viele Unternehmen hatten sich mit Spenden beteiligt. TV-Geräte, Stereo-Anlagen, CD-Player, Radiowecker, Rasierapparate, Kaffeemaschinen, Toaster, Kühlboxen, Picknickkoffer, Thermosflaschen, Software für PC, Taschen, Uhren, eine Hängematte, Bücher, CDs und vieles, vieles mehr gab es zu gewinnen. Der Rest der für das Sommerfest extra mit einem entsprechenden Aufdruck versehenen T-Shirts, Mützen und Trinkbecher, ebenfalls eine Spende, wurden ebenfalls als Preise vergeben. Obwohl die Ausgabe der Preise durch die Unterstützung von Angehörigen der Redaktionsmitglieder insgesamt durch 4 Personen erfolgte, kamen wir gewaltig ins Schwitzen, was weniger an den hohen Temperaturen, sondern eher am Ansturm der Gewinner lag. Nur, daß in diesem Jahr leider nicht so sonnige und warme Wetter verhinderte, daß sich um die Musikbühne wieder ein Hauch von Woodstock ausbreitete. Von außerhalb der Mauern war die Gruppe „Rockhouse" gekommen, außerdem trat die Rockband der Anstalt II auf. Auch der bereits im letzten Jahr aufgetretene Zauberkünstler gab wieder eine Zaubervorstellung, die begeistert aufgenommen wurde. Informationsstände der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen sowie in der Anstalt arbeitender Gruppen und Hilfsvereine waren ebenfalls vorhanden, und auch dies Angebot wurde durchaus genutzt. Leider konnte das Team von WEST Promotion in diesem Jahr wegen des zeitgleich stattfindenden Alstervergnügens nicht am Sommerfest teilnehmen, man hat jedoch zugesagt, im nächsten Jahr wieder anwesend zu sein, wenn sich dies irgendwie zeitlich einrichten läßt. Die Freunde des Boxsports kamen ebenfalls auf ihre Kosten, erneut gab es Sparringskämpfe zwischen der Santa-Fu-Boxgruppe und Kämpfern aus Vereinen außerhalb der Mauern im auf dem Sportplatz aufgebauten Ring. Die Vorbereitung eines solchen Festes für immerhin ca. 3000 Menschen ist unter den hier herrschenden Bedingungen nicht immer einfach, viele Dinge, die bei Stadtteilfesten und ähnlichem außerhalb der Mauern keine Rolle spielen, wollen hier bedacht sein. Und natürlich darf gerade die Sicherheit nicht zu kurz kommen, immer wieder werden gerade im Vorfeld des Sommerfestes entsprechende Befürchtungen laut. Einmal mehr in diesem Jahr hat sich gezeigt, daß derartige Befürchtungen grundlos waren. Die Praxis führte all jenen vor, daß es auch anders geht: das Sommerfest ging zur Zufriedenheit aller und ohne jedes Vorkommniss negativer Art über die Bühne. Daß dies so war, ist gleichermaßen das Verdienst von Gefangenen wie Bediensteten, denn das hat sich an diesem Sommerfest wie bereits im letzten Jahr gezeigt: es ist möglich, daß man durchaus gemeinsam etwas anpackt, und daß man dies dann auch gemeinsam zu einem guten Ende bringt. Manch Beobachter, mit den üblichen Knastverhältnissen und -hierar-chien vertraut, hätte sich vielleicht gewundert, wie da so einiges ablief.
Bedienstete, die Gefangene fragen, wie etwas zu handhaben ist, Gefangene, die Bedienstete um Unterstützung bitten und sich dafür bedanken - das und vieles mehr sind nicht gerade Selbstverständlichkeiten hinter den Mauern. Aber sie sind möglich, und das scheint uns eine wichtige Erfahrung zu sein, die man an anderer Stelle einmal heberzigen müßte. Leider steht zu befürchten, daß man wenig daraus lernen wird, doch wie dem auch sei: es ist eine durchaus gute und positive Erfahrung, daß dies möglich ist.
Mehr als 30 Gefangene haben sich aktiv beteiligt, sie haben auf- und abgebaut, sie haben bei Verkauf, Kindertombola und an Ständen geholfen, sie waren am Kinderkarussell ebenso zu finden wie überall dort, wo etwas zu tun war. Und alle haben angepackt, geschwitzt und sich bemüht. Ja, auch das stimmt, den Gefangenen ist eine Art „Aufwandsentschädigung" gezahlt worden, und wir haben darauf bestanden, daß diese sich zumindest von den knastüblichen „Entlohnungen" abhebt. Aber wenn ein Gefangener, statt sich auf den Rasen zu legen, den ganzen Tag in der Sonne schuftet, dann sind die z.B. DM 50.-, die er dafür je Tag bekommen hat, mindestens angebracht. Und nebenbei: das wäre eigentlich das richtige Beispiel, um aufzuzeigen, daß es sich durchaus auch „lohnen" kann, gemeinsam etwas anzupacken und zu arbeiten. Nicht nur finanziell, sondern auch und gerade sonst: denn alle haben bestätigt, daß es ein gutes Gefühl war, gemeinsam an etwas Sinnvollem zu arbeiten. Das vor allem sollte eigentlich den Verantwortlichen zu denken geben - aber es würde uns überraschen, wenn das wirklich passieren würde. Und siehe da, kaum war das Sommerfest vorbei, ging der vollzugsübliche Bödsinn weiter - bei Verantwortlichen innerhalb der Justiz dauern Lernprozesse mindestens etwas länger.
Was für die beteiligten Gefangenen gilt, das gilt ebenso - und das hat jetzt nichts von Arroganz - für die beteiligten Bediensteten. Da war nichts von „von oben herunter" zu spüren, auch da wurde gemeinsam angepackt, wo immer das möglich war. Da herrschte so zumindest in dieser Zeit Miteinander, wurde ein sinnvolles Ziel für alle gemeinsam angepackt, waren die üblichen Hierarchien ein Stück weit außer Kraft. Es werden, so denke ich jedenfalls, für viele positive Bilder zurückgeblieben sein, es bleibt zu hoffen, daß diese Erfahrungen nicht einfach verpuffen. Ein Anstaltsleiter, der trotz aller anfänglicher Anspannung, immerhin hätte etwas schiefgehen können, schließlich auf einer Bank entspannt in der Sonne sitzt, während sich auf dem Hof ein Sammelsurium von Fahrzeugen, Gefangenen, Bediensteten und Mitarbeitern von außerhalb tummelt, ist nicht das schlechteste Bild. Leider zeigt sich allerdings, daß auch Anstaltsleiter eher unter Druck geraten, wenn sie sich zumindest manchmal abseits der ausgetretenen Pfade vollzuglichen Blödsinns bewegen. Gerade die Gedanken einiger Schreibtischtäter in den höheren Etagen scheinen sich beständig im Kreis zu bewegen, weshalb ihnen auch nur die Versuche von Veränderungen suspekt sind.
Alles in allem also: das Sommerfest kann - sieht man einmal von den überhöhten Preisen ab, die im nächsten Jahr hoffentlich angemessener ausfallen - als Erfolg betrachtet werden. Wir haben sonst von niemandem negative Bemerkungen gehört, und daß hier viele - drinnen wie draußen - gemeinsam angepackt haben, ist eine Erfahrung, die in der Zukunft nicht vergessen werden sollte.
In diesem Sinne: auf ein Neues im nächsten Jahr ...

(jes)

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