Wahl der Waffen
Haut der Biermann den Gysi, haut der Hrdlicka den Biermann, haut der Broder den Hrdlicka, haut der Bittermann den Broder. Der Grund für ihre Aufregung: Wolf Biermann hatte Gregor Gysi und Stefan Heym als Verbrecher bzw. Feigling bezeichnet und erklärt, er wolle nicht mit Gesetzen leben, die von den beiden (mit)beschlossen würden. Alfred Hrdlicka hatte daraufhin Biermann in einem offenen Brief im "Neuen Deutschland" mitgeteilt, wenn dem so sei, dann wünsche er dem "angepaßten Trottel" Biermann die Nürnberger Rassegesetze an den Hals. Worauf nun wieder Henryk M.Broder erklärte, Hrdlicka sei ein "linker Nazi". Nachdem zuerst längere Zeit niemanden etwas aufgefallen war, brach nach Broders Angriff auf Hrdlicka ein Sturm los, der sich inzwischen wieder beruhigt hat, da es zu wenig wirkliche Interessenten an der "Affaire" gibt. Ein Teil der Linken aber fühlt sich seither persönlich beleidigt - durch Broder, nicht durch Hrdlicka.
Rudolf Burger eilt dem Kollegen Hrdlicka als Interpret zur Seite und erklärte in einem Artikel im Wiener "Standard" (nachgedruckt in Konkret 2/95), so wie es dargestellt werde, habe der Mann es nicht gemeint, sein Gebrüll künde von enttäuschter Liebe, antisemitisch sei das nicht. (Als Motto stellt Burger seinem Artikel eine Satz von - ausgerechnet - Ernst Jünger voran.) Klaus Bittermann fällt in derselben KONKRET-Ausgabe erbittert über all diejenigen her, die Hrdlicka als "linken Nazi" oder einfach "nur" als Antisemiten verdächtigen, kann dann aber auch nicht so genau sagen, warum das seiner Meinung nach nicht stimmt. Seine Argumentation läuft darauf hinaus, daß böse Rechte und Renegaten an dem guten linken Hrdlicka ihr antikommunistisches Mütchen kühlen, woraus folgt, daß Linke sich offenbar bedingungslos hinter Hrdlicka zu stellen haben. Tun sie es nicht, werden sie des Opportunismus bezichtigt.
Ansonsten ist noch zu hären und zu lesen: Der Hrdlicka sei doch eh ständig besoffen, man könne doch nicht ernstnehmen, was der so im Suff erzähle; er sei ein alter Linker, deshalb könne er kein Antisemit sein; er habe doch ein "Judendenkmal" gemacht, deshalb könne er ...siehe oben. Es hat sich offenbar noch immer nicht herumgesprochen, daß jemand sich antisemitisch äußern kann, obwohl er oder sie links ist. (Und das Denkmal wurde nicht nur von Rechten abgelehnt. Im Zentrum von Hrdlickas "Mahnmal gegen Faschismus und Krieg" liegt ein alter Mann, Jude, auf den Knien und schrubbt den Bürgersteig: Nach dem "Anschluß" wurden Wiener Juden von ihren lieben Nachbarn gezwungen, mit Zahnbürsten das Pflaster von politischen Parolen zu säubern. Eine besonders perfide östereichisch- antisemitische Variante der Erniedrigung. Ruth Beckermann kritisierte bereits 1989 Hrdlickas Skulptur scharf: "Was immer dieses Denkmal den Wienern sagen will, mir sagt es: Im Staub seid ihr gelegen. Auf dem Bauch seid ihr gerutscht. Und das ist heute unser Bild von euch. Fünfzig Jahre danach formen wir euch nach diesem Bild. ... Und wehe, wenn ihr aus der Rolle fallt.")
Ein prominenter Linker äußert sich antisemitisch, und ein Teil der Linken erschrickt nicht darüber, sondern regt sich über Broder und die "Anti-Hrdlicka-Fronde" auf sowie darüber, daß diese "sogar Bundesgenossen von links bekam"(Bittermann). Da stellen Leute eine kollektiven Persilschein in Sachen Antisemitismus aus und lassen sich auch durch die eindeutigsten Ausfälle ihres Schützlings nicht irritieren. Dabei war schon die erste Bemerkung antisemitisch (auch wenn sie vielleicht "nicht so gemeint" war). Doran Rabinovici schrieb dazu in seiner Antwort auf Burger im "Standard": "Der Rassengesetze-Satz richtet sich ... nicht an einen politischen Gegner, sondern nur gegen einen Juden, gegen "den Juden". ...Spräche ich solch eine Verwünschung gegen Burger aus, ginge sogleich ein Raunen, ein Staunen durch den Raum; einer würde den anderen fragen: "Ist Burger Jude?" Hrdlicka hat den Satz auch nicht, wie Burger es hinstellt, gebrüllt, sondern er hat ihn geschrieben. Nicht in einem privaten, sondern in einem offenen Brief. Da kann man doch selbst von einer "Rabellaisschen Figur"(Burger) wie Hrdlicka erwarten, daß er erst denkt und dann schreibt. Der Suff erklärt hier gar nichts, es sei denn, man wolle den Mann - und damit notgedrungen auch den Künstler - für unzurechnungsfähig erklären.
Hrdlicka hätte sich für den Satz in dem Offenen Brief entschuldigen können, er sei tatsächlich falsch verstanden worden, die Angelegenheit wäre damit vermutlich als "Ausrutscher" beigelegt worden, und nicht wenige hätten erleichtert aufgeatmet. Er hat sich aber weder entschuldigt noch revidiert. Es gibt im Österreichischen den Ausdruck "Er redt sich in an Strudel". Hrdlicka hat sich seit Broders Angriff auf ihn in einem immer heftigeren Strudel geredet. Er spricht seither von den "jüdischen Rassegesetzen", erklärt, Gysi und Heym säßen mit Biermann "im gleichen rassischen Boot", und: "ich kann ja dem Biermann net schreiben; 'Liebes Wolferl, sei nicht so häßlich zu Deinen Artgenossen'". "Die Juden", findet Hrdlicka inzwischen, müßten sich bei ihm entschuldigen. Überhaupt redet er gerne von "den Juden".
Da entlarvt sich einer durch seine Sprache, durch das, was ihm in der Wut hochkommt, mehr, als seine Gegner es könnten. Das ist umso entsetzlicher, als Hrdlicka eben kein Rechter und schon gar kein Nazis ist. Er ist ein "gestandener" Linker, er hat seine Verdienste, nicht nur um die Anti-Waldheim-Kampagne. Doch auch im aufrechtesten Antifaschisten kann dumpfer Antisemitismus schlummern, und der bricht sich (nicht nur bei Antifaschisten) gerne Bahn, wenn sich einer von "den Juden" beleidigt fühlt. Nach dem Motto; Wo ich doch immer zu den Juden gehalten hab" Und jetzt sind die so undankbar" Verhält sich ein Jude oder eine Jüdin unfreundlich zu einem Nichtjuden oder einer Nichtjüdin, überschwemmt bei letzteren nicht selten das unbewußte (und unreflektierte) Ressentiment aus "dem Bauch" die linken und antirassistischen Ansprüche im Kopf.
aus: Ingrid Strobel, Wahl der Waffen, KONKRET 3/95

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Most recent revision: April 07, 1998

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