Zionismus

Jüdische Nationalbewegung, benannt nach dem Jerusalemer historischen Tempelberg Zion. Ihre Wurzeln sind die seit dem 12. Jahrhundert von frommen Juden unternommenen Pilgerreisen zu ihren Heiligtümern im verlorenen Eretz Israel, dem Reich der jüdischen Könige (ca. 1000 bis 928 vor unserer Zeitrechnung). Anfang des 16. Jahrhunderts wurde dieses Gebiet die osmanische Provinz Palästina. Berichte der Rückkehrer über die dortigen Judengemeinden bewogen Moses Montefiore (1784-1885), sich mit praktischen Plänen zur Ansiedlung der besonders in Rußland und Polen grausam verfolgten Juden im "Land der Väter" zu beschäftigen. Daraus entstand ein Wirtschaftssystem. Die eine Seite waren arme ost- und mitteleuropäische Juden mit ihrer Arbeitskraft und ihrem Auswanderungswillen; die andere Seite reiche Juden, vor allem in Paris und London, die ihnen Geld und Beziehungen zur Verfügung stellen wollten; drittens, ebenfalls in Paris und London, arabische Großgrundbesitzer, die den jüdischen Philanthropen beträchtliche Teile ihrer verwahrlosten Ländereien in Palästina für Siedlungszwecke verkauften. Unterstützt wurde die Zionistenbewegung auch von christlichen Kreisen und der russischjüdischen Chowewe Zion (Zionsfreunde).
1882 veröffentlichte Leo Pinsker (1821-1891) seinen Appell "Autoemanzipation". Im gleichen Jahr kam die erste organisierte Gruppe junger Juden nach Palästina. Sie machten Wüsten und Sümpfe zu Ackerland, bauten Straßen, gruben Wasserkanäle, bereiteten neue Siedlungen vor. Ihr Pionierwerk blieb unbekannt. Aufsehen erregte erst Theodor Herzl (1860-1904), angesehener Mitarbeiter der Neuen Freien Presse in Wien, mit seinem Buch "Der Judenstaat" (1896) und seiner Forderung nach einem eigenen, international anerkannten jüdischen Lebensraum. 1897 berief er eine jüdische Konferenz nach Basel. Sie wurde zum Ersten Zionistenkongreß und gab der Bewegung durch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation eine feste Basis.
Der Zionismus spaltete die Judenheit. Seine schärfsten Gegner waren die streng talmudischen und andererseits die völlig assimilierten Juden, die besonders in Deutschland glühende Patrioten waren. Gespalten war aber auch der Zionismus. Schon auf der Baseler Konferenz hatte die tiefgreifende Verschiedenheit der ost- und westeuropäischen Juden zu schweren Richtungskämpfen geführt. Herzl vertrat den "diplomatischen" Zionismus, Chaim Weizmann (1874-1952) den "leistungsorientierten", andere Redner den "religiösen" und manche den "kulturbetonten". Hart umstritten war auch die Frage, ob der jüdische Staat nur in Palästina zu schaffen sei oder anderswo liegen könne. Schließlich einigten sich die Delegierten auf das "Basler Programm" mit seinem Bekenntnis zu Palästina.
Der Zionismus festigte sich durch die alljährlichen Kongresse, die Errichtung des Jüdischen Nationalfonds, der Jüdischen Kolonialbank sowie des Palästina-Amts (1908) in Jaffa und den Bau der ersten jüdischen Großstadt Tel Aviv. Während des Ersten Weltkriegs verlegte er sein Schwergewicht von Deutschland nach England und den USA. So geriet die Bewegung zunehmend in den Strudel der Weltpolitik. 1917 führten Verhandlungen zwischen Vertretern der Zionisten und der britischen Regierung über weitere Kriegskredite zur Balfour-Deklaration: Die Regierung versprach den Zionisten als Gegenleistung für ihren Einsatz die "größten Anstrengungen", um die Gründung der nationalen jüdischen Heimstätte in Palästina zu erleichtern. 1922 erhielt Großbritannien vom Völkerbund das Mandat über Palästina. Doch erst 1929 wurde, ungeachtet der Balfour-Erklärung und der Verpflichtung im Mandatsvertrag, die Jewish Agency als öffentliche Körperschaft zur Errichtung des jüdischen Nationalheims in Palästina geschaffen. Und nahezu stillschweigend duldeten die britischen Mandatsbehörden den wachsenden arabischen Terror gegen jüdische Menschen und Einrichtungen. Wohl wurden die Kommunen gemeinsam von Juden und Arabern verwaltet, doch mißlangen alle Versuche der Juden, sich mit den arabischen Extremisten zu verständigen.
Auch nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland, selbst dann, als die Verfolgung der Juden im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich offenkundig geworden war, nahm ein Großteil der europäischen Juden dem Zionismus gegenüber eine ablehnende Haltung ein. Angesichts des NS-Terrors kämpften die zionistischen Organisationen aber vehement gegen die immer härteren britischen Maßnahmen zur Beschränkung der Einwanderung deutscher jüdischer Flüchtlinge und jüdischen Bodenkaufs in Palästina. 1937 verwarf der Basler Zionistenkongreß einen britischen Teilungsplan in seiner vorliegenden, die Juden diskriminierenden Form. 1939 lehnte der Genfer Kongreß übereinstimmend mit dem Völkerbund ein als Verletzung der Mandatspflicht erkanntes britisches Weißbuch ab, demzufolge das allein von Juden erschlossene Palästina ein arabischer Staat mit jüdischer Minderheit sein sollte.
Während des Zweiten Weltkriegs beendete der Zionismus seinen passiven Widerstand gegen die britische Mandatspolitik. Auf einem außerordentlichen Kongreß (New York 1942) kündigten seine Delegierten die Zusammenarbeit mit Großbritannien und forderten offen die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina; über künftige Teilungspläne sollte die Jewish Agency unter dem Vorsitz von David Ben Gurion (1886-1973) entscheiden. 1947 akzeptierte sie den von der UNO vorgeschlagenen Teilungsplan, die arabischen Staaten lehnten ihn ab. Einen Tag vor dem Ende des britischen Palästina-Mandats erreichte der Zionismus sein Ziel: Am 14. Mai 1948 proklamierte Ben Gurion den Staat Israel.

Ruth Körner

Literatur: Max Kreutzberger (Hrsg.), Georg Landauer, Der Zionismus im Wandel dreier Jahrzehnte. Tel Aviv 1957; Hermann Meier-Cronemeyer, Kleine Geschichte des Zionismus. Von den Anfängen bis 1948. Berlin 1980.

aus: W.Benz, Legenden, Lügen, Vorurteile

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Most recent revision: April 07, 1998

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