Die politische Theorie Carl Schmitts als Urbild der "Neuen
Rechten"
I. Einleitung
Der Jurist Carl Schmitt scheint zum Ahnherren der "Neuen Rechten" geworden
zu sein. Zwar hatte er in den 20er Jahren gar nicht die Bedeutung als Vordenker
des später von A.Mohler zur "Konvervativen Revolution" stilisierten
"Neuen Nationalismus"(Gurian), sondern eher weniger bedeutende Denker,
wie er es heute für die "Neue Rechte" hat, aber er ist interessant,
weil er stets so zynisch und opportunistisch war, die Dinge ziemlich unverblümt
auszusprechen. Daher war er stets auch, weil er so entlarvend für die bestehenden
Verhältnisse war, auch bei der Linken beliebt. So schätzte Walter Benjamin
ihn und hat ihm auch sein Trauerspielbuch zugesandt. Von anderen faschistischen
Vor-Denkern unterschied er sich durch die prognostische Kraft.
Nur die Kammerjäger der - vom Ungeist political correctness genannten - Auffassung
dürften Schmitt und andere Denker der fälschlich als konservative Revolutionäre
betitelten Denker ausschließlich als warnendes Beispiel für die katastrophalen
Folgen des "völkischen Nationalismus" behandeln. Das sind sie allemal,
aber es nützt auch nichts ständig zu betonen, daß man dagegen ist,
das sollte sich unter Antifaschisten von selbst verstehen. Es hieße die Gefahren
verkennen, nicht zu sehen, daß gerade der Nationalismus eine falsche Antwort
auf richtige Fragen darstellt. Und sofern ist Stefan Breuer zu folgen, wenn er sich
fragt: "Könnte er (der Nationalismus) nicht als Stachel aufgefaßt
werden, der diese (die Zivilisation) zur Selbstreflexion und Selbstkritik veranlaßt?"(Anatomie
der Konservativen Revolution S. 202)
Neurechte Demagogen wie Weißmann haben diese Frage in ihren Rezensionen ins
genaue Gegenteil verkehrt, so als ob Breuer sich dem Nationalismus selber assimilierte,
obwohl Breuer gerade darin aktuelle Bedrohungen sieht, wie sie in der antiwestlichen
Rhetorik von diversen nationalistischen Fundamentalisten an der Peripherie des Weltsystems
vorliegen, die er zurecht als Pathologien des Weltsystems im Ganzen deutet. Vom
Denken der sog. "konservativen Revolution" her wären sofern die Grundmuster
des Übels von Heute zu erkennen.
"Alles ist hier anders, und doch sind die Grundmuster vertraut:
die antiwestliche Rhetorik, die sich nahtlos mit der Begeisterung für die modernste
Waffentechnik verbindet; die xenophobe und chauvinistische Exaltiertheit; die Neigung
zu paranoiden Konstruktionen, die allenthalben satanische Mäche am Werk sehen,
de verbohrte Partikularismus, der zugleich eine weltgeschichtliche Sendung der eigenen
Kultur postuliert. Was im Deutschland der Jahre 1918ff durchgespielt wurde, findet
heute auf der ganzen Welt ein vielfaches Echo."(Breuer S.201)
Ob in Deutschland, wie Stefan Breuer andeutet, diese politischen Strömungen
trotz Wiederbelebungsversuche nicht mehr existiert, müßte differenzierter
betrachtet werden. Zwar stimmt es, daß die meisten Ideologeme unverständlich
und exzentrisch erscheinen, die Versuche ein Charisma der Nation zu erneuern, sind
in den letzten 5 Jahren verstärkt aufgetreten und haben den Charakter von Brand-Sätzen
gehabt.
Dabei war Schmitt der meistgelesene Autor, wenn auch in der sog. "Neuen Rechten"
umstritten, denn so manchem - wie Eichberg - war er nicht völkisch genug: "Die
binäre Freund-Feindlogik ist eine Logik administrativen Handelns, steht also
dem Staat nahe. Auf das Volk mit seiner 'unordentlichen' Lebensweise läßt
sie sich schwerlich anwenden. Darum war Carl Schmitt ein Theoretiker nicht des Volkes,
sondern des Staates"(Eichberg, Kein Volk und kein Frieden Über die junge
Alte Rechte: die 'Junge Freiheit', zitiert nach H.Kellershon (Hrg.) Das Plagiat.
Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit. S. 209)
Bei der Möchtegern-Elite der Autoren der Jungen Freiheit erfreut sich Schmitt
eher der Beliebtheit, da er die "Demokratie als ein brauchbares Verfahren der
Elitenzirkulation" bejaht.
Die Bedeutung C.Schmitts im bürgerlichen Lager und die Gefahren, die damit
verbunden sind, dürfen nicht übersehen werden..
Heute ist Schmitt bei den Juristen so etwas wie herrschende Lehre. So stellt Ingeborg
Maus im Vorwort zur Neuen Auflage ihrer Arbeit über Schmitt fest:
"Wer Carl Schmitt kritisiert, legt sich nicht mit der herrschenden
Lehre von gestern, sondern mit der herrschenden Meinung von heute an. Das bestätigen
wider willen einige Rezensionen, die das eher esoterisch geschriebene Buch zu einem
Politikum aufwerten. Ihnen muß zunächst auf gleicher Argumentationsebene
geantwortet werden. - Schwierigkeiten scheint hier schon der Buchtitel bereitet
zu haben. Sicher kann ein Buchtitel nicht die Differenziertheit einer Analyse zum
Ausdruck bringen, vielleicht hätte auch der ursprüngliche Arbeitstitel
Mißverständnisse vermieden, der sich scheinbar neutraler auf bürgerliche
Rechtstheorie im fortgeschrittenen Industriekapitalismus bezog. Nirgendwo ist allerdings
- wie gelegentlich unterstellt - Carl Schmitts Theorie, die wesentlich unter dem
Gesichtspunkt ihrer Kontinuität analysiert wurde, als "faschistisch"
bezeichnet. Offenbar besteht die herausfordernde Bosheit meines Buches gerade darin,
daß es Carl Schmitts Theorie in allen Phasen (auch nach 1933) als eine eminent
bürgerliche interpretiert. So ist auch für die entscheidende Phase nur
die temporäre Affinität, nicht die Identität zwischen Interessen
und faschistischen System herausgearbeitet. Nur in diesem Zusammenhang ordnet sich
meine Unterscheidung zwischen einerseits ökonomischen und andererseits unmittelbar
politischen (von Parteijuristen) artikulierten) Interessen an der Entformalisierung
des Rechts ein. DIe These, daß beide Intentionen im NS-System sich wechselseitig
verstärkten und der organisierte Industriekapitalismus im faschistischen System
auch entscheidend gefördert wurde, zielt auf die Kontinuität sozialökonomischer
Prozesse, der sich in der inneren Folgerichtigkeit der Theorie Carl Schmitts reproduziert."(I.Maus,
Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen
Wirkung Carl Schmitts 2.Aufl. X ff)
Und weiter;
"Offenbar war der gegenwärtig herrschenden Lehre der Nachweis
der Kontinuität im Denken Carl Schmitts besonders unbequem. Die Vorwürfe
gegen die Verwendung eines weiten Faschismusbegriffs im Sinne einer Identifizierung
von NS-System und BRD, die im Buch keinen Anhaltspunkt finden, richten sich in Wirklichkeit
gegen diese Kontinuitätsthese sowie deren Implikationen, zentrale Argumentationsfiguren
der Theorie Carl Schmitts (und vergleichbarer Rechtstheorien der Weimarer- und NS-Zeit)
als konstitutiv auch für das gegenwärtig dominierende Rechtsverständnis
aufzuweisen. Daß dessen gegenwärtige Vertreter, wie z.B. Werner Maihofer,
der geistigen Verwandschaft mit Carl Schmitt im Sinne faschistischer Neigungen bezichtigt
werden sollten, erscheint unter diesem Aspekt fast als ein gewolltes Mißverständnis.
Wenn es in einer Kritik heißt: 'Über Carl Schmitts vorübergehendes
Engagement für den Nationalsozialismus braucht hier kein Wort mehr verloren
zu werden. Seine Bedeutung in der deutschen Staats- und Rechtslehre wird dadurch
nicht aufgehoben", und wenn diese Bedeutung ausdrücklich auch den bürgerlich-liberalen
wie den christlich-humanitären Gegnern Carl Schmitts wieder näher gebracht
werden soll, so wird das eigentliche Motiv solcher Auseinandersetzungen deutlich:
Wer Carl Schmitts Schriften vor 1933 und nach 1945 zur nicht mehr heimlichen, sondern
offiziellen Rechtsdoktin der Gegenwart erheben will, muß auf dem radikalen
Bruch von 1933/45 bestehen. Jeder Kontinuitäts-Nachweis stört die eingeleitete
offene Carl Schmitt-Rezeption."(a.a.O. XIII)
Die Kontinuität von bürgerlichen und faschistischen Denken
ist das Interessante am Lebenswerk Schmitts. Der Faschismus ist also der Demokratie
nicht äußerlich, sondern entwickelt sich bereits in der Demokratie. Daher
ist das Problem der Transformation der Demokratie das Entscheidende. Das "Vordringen
von Generalklauseln", die dann zur im Ermächtigungsgesetz zur "Ermächtigungsgeneralklausel"
sich steigert hat schon Hedemann in "Flucht in die Generalklauseln" gesehen:
"Wenn aber der Staat als oberste Macht selbst die Generalklauseln für
sein eingenes Verhalten setzt, fließt der Beweglichkeitsfaktor mit dem Machfaktor
in Eins zusammen, die Generalklausel hört auf Maßstab zu sein und wird
zur einseitig und unkontrollierbar zu führenden Waffe". (Die Flucht in
die Generalklauseln, Tübingen 1933 S. 72f)
Die im alten Recht vorhanden und die im NS-System neu gesetzten Generalklauseln
wurden zu Einbruchstellen der Funktionalisierung der Justiz durch den Nationalsozialismus,
sozusagen "Kuckuckseier im liberalistischen Rechtssystem"(H.Lange) machen
die Gesetzesbindung des Richters zur Farce.
II.Biographisches
Carl Schmitt wurde am 1.Juli 1888 in Plettenberg geboren. Er wurde katholisch erzogen.
Er studierte Jura und legte 1910 das Referendariat und Doktorexamen ab mit der Arbeit
"Über Schuld und Schuldarten - Eine terminologische Untersuchung".
Während seiner Assesorausbildung sammelte er im bayrischen Kriegwirtschaftsamt
praktische Erfahrungen. 1915 wurde er Assesor und 1916 habilitierte er sich mit
der Arbeit "Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen. Die Revolution
1918/19 erlebte er in München, wo er im Kreis um Kerschensteiner verkehrte.
1919 hielt er Vorlesungen an der Münchner Handelshochschule, nicht nur über
Strafrecht, sondern auch über Verfassungsrecht. 1921 nahm er einen Ruf an die
Universität Greiswald auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an.
1922 ging er nach Bonn und veröffentlichte seine - unter katholischen Einfluß
stehenden Schriften (normative Phase). 1928 ging er an die Berliner Handelsschule,
nachdem er seine Verfassungslehre bereits vollendet hatte. In den ersten faschistischen
Jahre machte er schnell weitere Karriere. Im Januar 1933 ging er nach Köln.
Nachdem er von Göring zum Preußischen Staatsrat ernannte wurde, ging
er im Oktober an die Universität Berlin. Als Präsidiumsmitglied der Akademie
für Deutsches stellte er sich dem neuen Regime zur Verfügung und feiert
das Ende der Weimarer Verfassung und den Beginn des vom Führer gesetzten Rechts.
Als geschliffener Intellektueller war er den Nazis jedoch suspekt und wurde ab 1937
- wie H.Arendt meint - von zweit- und drittrangigen Begabungen ersetzt. Er beschäftigte
sich dann hauptsächlich mit völkerrechtlichen Fragen. Als er 1942 merkte,
daß das Dritte Reich doch nicht seine Erwartungen erfüllte, ging er in
innere Emigration. 1945/6 war er im amerikanischen Lager Lüdenscheid interniert.
Danach lebte er zurückgezogen in Plettenberg (Sauerland) Sein Spätwerk
beschäftigt sich in geschichtphilosophischer Sicht mit dem "Nomos der
Erde" (der Landnahme, universeller Raumordnung und Weltaufteilung. Bis zu seinem
Tode 1985 scharte er eine Anzahl von Anhängern um sich im Rahmen der Zeitschrift
"DER STAAT" (Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht
und Verfassungsgeschichte"
III. Der historische Bezugsrahmen der politischen Theoriebildung Carl Schmitts
Die militärische Niederlage Preußens in den napoleonischen Kriegen diskreditierte
die Herrschaftslegitimation des altpreußischen Gesellschaft. Diejenigen gesellschaftlichen
Kräfte, die in England der industriellen Revolution den Weg bereiteten, so
mußte man feststellen, waren auch hier unentbehrlich geworden. Das Bürgertum
- in Preußen eine "Geburt aus dem Geiste der Administration" - wurde
wie auch die Kleinbauern im Rahmen eines umfassenden Modernisierungskonzepts an
der konzentrierten Aktion der Reformbürokratie zeitweilig beteiligt. Die Veränderung
der außenpolitischen Bedingungen nach der Niederlage Napoleons in Waterloo,
stärkten jedoch wieder die Rittergutsbesitzer zuungunsten der Kleinbauern und
des Bürgertums. Die Steigerungen der Produktivität und die Vergrößerung
der Anbaufläche im Rahmen der Förderung des Großgrundbesitzes durch
niedrige Kredite ermöglichte jedoch einen erfolgreichen Industrialisierungsprozeß,
dessen erster Schub von 1835-1873 andauerte, so daß der industrielle Rückstand
bei Beibehaltung traditioneller Herrschaftsformen aufgeholt werden konnte. Die Freisetzung
der Kleinbauern war Bedingung der deutschen kapitalistischen Modernisierung, wie
die Überwindung der Kleinstaaterei. Die Modernisierung war bruchlos nicht gänzlich
ohne Beteiligung des Bürgertums möglich. Das Bürgertum erstrebte
zwar 1848 nicht die alleinige Herrschaft an, sondern nur gesicherte Mitwirkungsrechte.
Aber die alten Eliten wollten die Rechte des Bürgertum auf das Erwerbs- und
Gewinnsterben reduzieren und gestanden nicht einmal eine erweiterte Mitwirkung zu.
Sieger des Konflikts war schließlich das Militär, das personell vom Adel
dominiert war. Das Bürgertum blieb politisch bis 1918 in Deutschland so gut
wie bedeutungslos. Selbst 1918 war die Arbeiterbewegung nicht das Bürgertum
Träger der bürgerlichen Revolution. Nachdem eine deutsche Reichsneugründung
von unten 1848 scheiterte, kam Bismark 1861 im Rahmen des preußischen Heereskonflikts,
in dem gegen die liberale Mehrheit versucht wurde, eine Heeresreform durchzusetzen,
an die Macht. Durch Umgehung des von den Liberalen dominierten Abgeordnetenhauses
führte er zwei Blitzkriege, die Österreich aus Deutschland vertrieb und
erweiterte durch diverse Annexionen und den Nordeutschen Bund die preußische
Hegemonie in Deutschland, schließlich gelang nach dem deutschfranzösischen
Krieg, der den Anschluß süddeutscher Länder zur Folge hatte, die
Reichsgründung. Unter Ausnutzung der Uneinigkeit und Desorientiertheit der
Liberalen, die eines der Kritikobjekte C.Schmitts sein wird, wurde das Reich aufgebaut.
Seine Regierungszeit ab 1873 bis 1890 war durch drei Depressionen gekennzeichnet,
die durch die Kolonialpolitik kompensiert wurden. Das Zeitalter des klassischen
Imperialismus wurde eingeleutet, in dem durch militärische Expansion der sustentative
(1) Kapitalexport gesichert wurde. Die erste Phase der
Akkumulation des Kapitals mündete schließlich auch in Deutschland in
der Präponderanz des industriellen Kapitals und zur Konzentration und Zentralisation
des Kapitals und zur Zunnahme reaktiver Staatsintervention, wie sie Marx bereits
- England vor Augen beschrieb:
"Es ist die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb
der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich aufhebender Widerspruch,
der prima facie als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform
sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich auch in der Erscheinung dar.
Er stellt in gewissen Sphären das Monopol her und fordert Staatseinmischung
heraus. Es reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten
in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren;
ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe
und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums."
(MEW25,454)
Bereits in der vormonopolistischen Phase entspricht der Herrschaft
des Kapitals die politische Herrschaft des Staates. Die Transformation der Herrschaft
des Kapitals in die politische des modernen Anstaltsstaates hat den Zweck der gewaltsamen
Garantie des Modus der reinen Vergesellschaftung. Der abstrakte Universalismus politischer
Herrschaft besteht in der abstraktiven Verallgemeinerung individueller Interessen,
die den Individuen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang entreißt und in Gegensatz
zu ihnen tritt.
"Damit gesellschaftliche Inhalte verbindlich werden können,
müssen sie als private Interessen gesellschaftlich beliebig und unverbindlich
sein, und wenn sie in der öffentlichen Gewalt verbindlich geworden sind, sind
sie vom gesellschaftlichen Lebenzusammenhang abstrahiert und treten ihm als äußerliche
Herrschaft gegenüber."(U.K.Preuß, Bildung und Herrschaft, FfM 1975,
36f)
Der Wille des Kapitalisten, der zwar formell genauso frei ist wie der
des Arbeiters, dennoch aber an die Gesetze der Ökonomie bei Strafe des Untergangs
gebunden ist, bestimmt die inhaltliche Seite des Produktionsprozesses. Da der Kapitalist
nur fürsichseiendes Kapital ist, also Personifikation ökonomischer Kategorien,
kann seine Tätigkeit auch an besoldete Diener übergehen. In der Sphäre
der Produktion wird eine private, abstrakte Herrschaft begründet, der in der
Zirkulationssphäre eine formelle Freiheit und Gleichheit korrespondiert, die
ebenso real wie Schein ist. Real ist sie, insofern im Verkehr die außerökonomische
Gewalt gewaltsam eliminiert ist:
"Damit ist also die vollständige Freiheit des Individuums
gesetzt: Freiwillige Transaktion; Gewalt von keiner Seite; Setzen seiner selbst
als Mittel, oder als dienend, nur als Mittel, um sich als Selbstzweck, als das Herrschende
und Übergreifende zu setzen...Gleichheit und Freiheit sind also nicht nur respektiert
im Austausch,der auf Tauschwerten beruht, sondern der Austausch von Tauschwerten
ist die Produktive, reale Basis aller Gleichheit und Freiheit."(GR,156)
Ebenso real ist jedoch Ungleichheit und Freiheit, die in dieser gleichen
und freien Form sich realisieren. Der auf das reine Arbeitsvermögen, seine
reine Subjektivität reduzierte Arbeiter muß seine Arbeitskraft verkaufen,
weil er von den objektiven Produktionsbedingungen getrennt ist; er wird nur gekauft,
wenn er mehr produziert als er als Äquivalent für seine Arbeitskraft erhält.
Dem Normalzustand kapitalistischer Vergesellschaftung entspricht juristisch die
Allgemeinheit des Gesetzes. Hegel formuliert diesen Sachverhalt treffend:
"Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze
wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit.
Es ist darum bei der Vorstellung des Gesetzgebens nicht bloß das eine Moment
vor sich zuhaben, daß dadurch etwas als für alle gültige Regel des
Benehmens ausgesprochen werde; sondern das innere wesentliche Moment ist vor diesem
anderen die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit."(Rechtsphilosophie
211)
Der Universalismus politischer Herrschaft als Form kapitalistischer
Herrschaft setzt die Unverbindlichkeit individueller Interessen als solche voraus.
Im Normalzustand des Gesetzgebungsstaates herrscht ein Interessenpluralismus, der
die Sphäre der privaten Produktion mit der abstrakten politischen vermittelt.
Durch Mehrheitsentscheidung kann jedes individuelle Interesse prinzipiell verwirklicht
werden. Dies ist indes nur möglich, soweit die private Herrschaft des Kapitals
nicht angegriffen wird, was impliziert, bürgerliche Verkehrsformen zu verlassen;
dann versagt die Vermittlungsfunktion:
"Versagt seine Vermittlungsfunktion - etwas weil das 'Interesse'
an unmittelbarer und verbindlicher Planung des gesellschaftlichen Zusammenhangs
von Produktion und Bedürfnisbefriedigung angemeldet wird -, so schlägt
der Universalismus politischer Herrschaft unvermittelt in sein Gegenteil um: im
Belagerungszustand findet der Universalismus politischer Herrschaft sein dialektisches
Widerspruchsmoment; in ihm schlägt ganz ohne interessenpluralistische Vermittlung
direkt Gewaltsamkeit der den Gesellschaftsmitgliedern entzogenen, abstrakten Allgemeinheit
als Herrschaft 'sans phrase' durch, um den abstrakten Charakter gesellschaftlicher
Allgemeinheit zu bewahren."(U.K.Preuß, Bildung und Herrschaft, FfM 1975,
p.38)
In Deutschland hatte sich ein Rechtsstaat entwickelt, der der Einsicht
Franz Neumanns zufolge eine Schöpfung der ökonomisch aufsteigenden, aber
politisch stagnierenden Bourgeoisie war. Die Idee des Rechtststaats war gegenüber
politischen Form gegenüber indifferent, also nicht wie in England die der Demokratie.
Der Rechtsstaatsbegriff war in Polemik gegen De Maistre und Bonald, die Vertreter
einer Theorie einer rein monarchischen Legitimität, gebildet worden. Sicherheit
und Berechenbarkeit stehen bereits bei dem Theoretiker der Gegenrevolution Friedrich
Julius Stahl im Vordergrund. Die autoritas wird durch das Gesetz begrenzt. Die liberalen
Rechtstaatstheoretiker wie Gneist, Mohl, Welcker und Bähr übernehmen den
indifferenten Begriff des Rechtsstaats, dem zufolge das Recht indifferent gegenüber
der Staatsform ist. Die Genesis des Rechts interessiert sie nicht, sondern nur die
Interpretation des positiven Rechts. Bestimmte Rechte gegenüber den Staat wurden
bereits fixiert:
"Die Unabhängigkeit der Richter wurde von 1848 an nicht mehr
bestritten. Sie wandten die Gesetze wörtlich an. Das freie Ermessen, das in
den Generalklauseln am sichtbarsten ist, spielt keine Rolle. (...) Noch 1911 hat
der zweite Richtertag folgende Entschließung angenommen: '1.Die richterliche
Gewalt ist dem Gesetz unterworfen. Der Richter hat deshalb niemals die Befugnis,
vom Recht abzuweichen. 2. Die Zweifelhaftigkeit des Gesetzesinhalts berechtigt den
Richter nicht, nach seinem Ermessen zu entscheiden; vielmehr ist der Zweifel durch
Auslegung des Gesetzes nach Sinn und Zweck und zutreffendenfalls nach Analogie zu
lösen. 3. Ist ein Gesetz verschiedener Auslegung fähig, so hat der Richter
derjenigen Auslegung, welche dem Rechtsbewußtsein und den Verkehrsbedürfnissen
am besten entspricht, den Vorzug zu geben.' Diese Haltung der Richter gegenüber
dem Gesetz ist während der Periode Wilhelms II. verständlich. Der Staat
verstand es, seinen Einfluß auf die Richter, obwohl sie unabhängig waren,
durchaus zu erhalten. Der soziale Standort des Richters war fixiert. Er begann seine
Karriere als Reserveoffizier und lernte dort die Bedeutung von Gehorsam und Disziplin.
(...) Der Richter dieser Periode besaß alle Charakteristika des mittleren
Bürgertums, das Resentiment gegenüber Arbeiter, vor allem dann, wenn er
organisiert und gut bezahlt war, die Verehrung für Thron und Altar, zugleich
aber völlige Indifferenz gegenüber Finanzund Monopolkapital."(F.Neumann,
Der Funktionswandel des Rechtsgesetzes, in: ZfS VI (1937), p. 568f)
1918 änderte sich die politische Lage, bedingt durch die deutsche
Niederlage, wurde aus dem 2. deutschen Kaiserreich eine parlamentarische Republik.
Wie reagierte die Jurisprudenz? Sie vertrat einen Rechtspositivismus, der die jeweils
bestehende Ordnung rechtfertigt. So heißt es in einem Handbuch:
"Zur Rechtsverwirklichung ist nur die Staatsgewalt befugt, die
die tatsächliche Macht besitzt ...Die Staatsgewalt (ist) eine Tatsache der
Geschichte, ohne Rücksicht auf Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit
ihres Entstehungsprozesses. Daher kommen auch den revolutionären Trägern
der Staatsgewalt, die sich in deren Besitz zu behaupten vermögen, die Anerkennung
ihrer rechtlichen Stellung zu."(Stier-Somlo, Art. Legitimitätsprinzip
in HwbR, BD.3, Berlin u. Leipzig 1928, 934)
Diese Passage aus dem Handwörterbuch der Rechtswissenschaft bezieht
sich auf eine offizielle Formulierung des Reichsgerichts, die das Recht der gelungenen
Revolution 1918 fixiert. Aber lange vor der Revolution ist die Legitimitäsfrage
aus dem Staatsrecht eliminiert worden, so formulierte Georg Meyer bereits:
"Die Befugnis zur Ausübung der Staatsgewalt ist... nicht durch
den rechtmäßigen Erwerb, sondern nur durch den tatsächlichen Besitz
derselben bedingt."(G.Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, bearbeitet
von G.Anschütz, 6.Aufl. Leipzig 1905, p.24)
Die Juristen brauchten sich nicht sonderlich umzustellen. Auch die
Weimarer Verfassung akzeptierten sie wie vorher das Wilhelminische Deutschland.
Der Staat war jedoch nicht mehr derjenige, den wir in klassischer Form bei Locke,
Sieyes und Kant kennengelernt haben. Die Konkurrenz unabhängiger Privatsubjekte
war durch die Entfaltung der Tendenz zur Monopolisierung suspendiert. Die Trennung
von politischem Staat und Gesellschaft war durch ein "Übergreifen der
bürgerlichen Gesellschaft über den Staat" (Marx, GR175) aufgehoben
worden
"Im Interesse einer Fortführung des (kapitalistisch organisierten)
Produktions- und Reproduktionsprozesses übernimmt der Staat die Funktion einer
Sozialisierung der Lasten, die die Möglichkeiten der Einzelkapitale übersteigen.
Er wird Subventions- und Planstaat, der seinen Haushalt zu gesamtwirtschaftlichen
Zwecken einsetzt, die freilich nach wie vor ihren eigenen Gesetzen gehorchen; er
wird Globaladministrator, der über Handels-, Bank-, Betriebs- und Raumordnungen
die Verkehrsformen regelt; und er wird zum Verwalter des gesamtgesellschaftlichen
Assekuranzfonds, der - in direkten Widerspruch zu den Prinzipien des klassischen
Liberalismus - die Individuen vor gesellschaftlich produzierten Risiken des Einkommenverlusts
durch Krankheit, Alter, Unfall oder Arbeitslosigkeit schützt. Alle diese Funktionen
übernimmt der Staat nicht von sich aus, sondern unter dem doppelten Druck objektiver
wirtschaftlicher Zwänge und subjektiver Pressionen, die von den in Assoziationen,
Verbänden und Parteien organisierten Staatsbürgern auf ihn ausgeübt
werden."(St. Breuer, Nationalstaat und poivoir constituant bei Sieyes und Carl
Schmitt, in: Aspekte totaler Vergesellschaftung, Freiburg 1985,p.176)
Der Staat macht sich zunehmend zu einem "ideellen Gesamtkapitalisten".
Für das Recht hat das entscheidende Bedeutung. Die ungeheuere Dynamik gesellschaftlicher
Veränderungen gerät in Widerspruch zur Gesetzesform des Rechts, wie wir
sie oben angedeutet haben. Dies zeigt sich einerseits an der Zunahme von Generalklauseln,
durch die eine Entscheidung des Richters zum "politischen Befehl" (Neumann)
wird und zur Rehabilitierung des Naturrechts, wie sie die Freirechtsschule vertreten
hatte.
IV. Carl Schmitt als Theoretiker des Irregulären
Carl Schmitt gehört zu den Denkern, die sich diesen Rechtsentwicklung geöffnet
haben. Er war jedoch kein Vertreter der Freirechtsschule (Ehrlich, Fuchs etc.) Aber
er reflektiert auf dieselbe Problemlage. Von Anfang an interessieren ihn die nichtorganisierten
und irregulären Momente des Rechts. Vom gesetzlich nicht gebundenen Urteil
des Richters, dem Ausnahmezustand, die permanent revolutionären verfassungsgebenden
Gewalt, der faschistischen jeder Normierung sich entziehenden Ordnung eigenwüchsiger
Institutionen, dem 'rechtlichen Urakt' der Landnahme bis zur Irregularität
des Partisanenenkampfes: Schmitt interessiert sich sein Leben lang für das
Nichtidentische am Recht. Ingeborg Maus sieht mit Recht darin die Identität
des Werkes von Carl Schmitt:
"Jedes dieser Phänomene verweist auf rechtliche Gründungsvorgänge
durch eine konstituierende Macht. Von der richterlichen Rechtsschöpfung bis
zur Untergrundbewegung richten sich deren Intentionen gegen das Legalitätsschema
einer etablierten Welt, und noch in einer Äußerung von 1970 ist die Legalität
als eine 'fürchterliche Realität' bezeichnet, gegen deren Garantie des
legalen Status quo die Aktionen des Partisanen gerichtet sind."(I.Maus, Bürgerliche
Rechtstheorie und Faschismus, p.85f)
Unter diesem Aspekt werden einige Texte von Schmitt zu interpretieren
sein. Schmitt wechselt zwar seine Positionen andauernd, da er sich immer auf die
aktuelle Lage bezieht - die Titel seiner Aufsätz beginnen oft mit "Zur
Lage.." -, aber diese Kontinuität liegt vor, wenn er auch den Anspruch
hat seine Begriffe aus der Immanenz der jeweiligen historischen Ordnung zu entwickeln.
(Darauf konnte er sich später mit Erfolg berufen als er anläßlich
der Nürnberger Prozesse von Kempner verhört wurde. Er sagte aus, er hätte
nur Diagnosen, was ist, erstellt)
"Rechtsphilosophie ist für mich nicht ein aus einem vorhandenen
philosophische System auf juristische Fragen appliziertes Vokabelarium, sondern
die Entwicklung konkreter Begriffe aus der Immanenz einer konkreten Rechts- und
Gesellschaftsordnung."(Anmerkung zu dem Vortrag über Die Lage der europäischen
Rechtswissenschaft (1943), in Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren
19241954 - Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, S.427)
Daraus läßt sich jedoch nicht schließen, daß
er sich mit dem Rechtspositivismus identifiziert, dessen Formalismus ihm durchgängig
ein Dorn im Auge ist, und den er auch explizit kritisiert:
"Es ist...nicht angängig, sich mit der landläufigen Methode
einverstanden zu erklären, die einen Komplex von Normen, welche der Staat,
als eine besondere Macht, emaniert, auf den lediglich faktischen Willen dieses Staates
gründet, innerhalb dieses Komplexes aber mit den Mitteln juristischer Argumentation
arbeitet und den vernünftigen und richtigen Willen er mitteln will, obwohl
der Geltungsgrund der Norm (sc. nach der eigenen Voraussetzung des Positivismus)
ein bloß tatsächlicher ist."(Wert des Staates, p.21)
Schmitt bedient sich der Methode einer, wie er es nennt "Soziologie
juristischer Begriffe", die bestimmte Homologien der Metaphysik mit der Form
der politischen Organisation voraussetzt.
"Voraussetzung dieser Art Soziologie juristischer Begriffe ist
also eine radikale Begrifflichkeit, das heißt eine bis zum Metaphysischen
und zum Theologischen weitergetriebene Konsequenz. Das metaphysische Bild, das sich
ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was
ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet. Die Feststellung
einer solchen Identität ist die Soziologie des Souveränitätsbegriffs."(PTH,
59f)
Ein aprioristisches Methodenverständnis weist Schmitt zurück,
d.h. er unterstellt sich dem Vorrang inhaltlichen Denkens. Man findet bei ihm die
Ablehnung jeglicher Formalismen, wir noch sehen werden. Schmitt beschreibt sein
Vorgehen in einem Gespräch mit Joseph Schickel:
"Ich habe eine Methode, die mir eigentümlich ist: die Phänomene
an mich herankommen zulassen, abzuwarten und sozusagen vom Stoff her zu denken,
nicht von vorgefaßten Kriterien. Das können Sie phänomenologisch
nennen, aber ich lasse mich nicht gern auf solche allgemeine methodologische Vorfragen
ein." (J.Schickel (Hrg.), Guuerrillos, Partisanen. Theorie und Praxis, München
1970, p.11)
V. Ausgewählte Werke
1.Gesetz und Urteil(1912)
Bereits vor dem Ende des wilhelminischen Deutschland wendet Schmitt sich gegen den
Rechtspositivismus, ohne jedoch die Probleme, welche die Freirechtsschule aufgeworfen
hat, zu umgehen. Er identifiziert die Richtigkeit richterlicher Urteile nicht mit
ihrer Gesetzmäßigkeit.
"Die vorliegende Abhandlung stellt sich die Frage, wann eine in
der Rechtspraxis ergangene Entscheidung richtig ist, und beantwortet sie dahin,
daß die Rechtspraxis selbst darüber entscheide. (...) Die Praxis soll
also ihre eigenen Maßstäbe für die Richtigkeit ihrer Entscheidungen
haben."(GU,V)
Er stellt sich zunächst einmal auf den Boden rechtspositivistischer
Argumentation und unterstellt sich dessen Anspruch:
"Der Richter soll so entscheiden, wie es im Gesetz vorgesehen ist.
Richtig entscheiden enthält aber mindestens zwei Tätigkeiten; einmal das
richtige Gesetz mit dem zu beurteilenden Tatbestande in Verbindung zu bringen; sodann
das, was im Gesetz steht, richtig aufzufassen (von den Fällen, die nicht im
Gesetz vorgesehen noch gar nicht zu reden). Wie soll sich nun aus dem Inhalt des
Befehls selbst in Zweifelfällen ergeben, daß beide Tätigkeiten vorschriftsmäßig
abgelaufen sind? Im Gesetz steht doch nicht mehr als sein manifester Inhalt."
(GU,32)
Nun kann es Fälle geben, in denen eine Subsumtion unter das Gesetz
unbillig wäre oder die Realität das Gesetz überholt hat. Wie soll
der Richter dann entscheiden. Er wird sich gegen das Recht entscheiden müssen
oder das Recht muß verändert und das positive durch ein überpositives
Recht ergänzt werden. Das letztere schließt Schmitt aus und wendet sich
gegen die Freirechtsbewegung:
"Es scheint selbstverständlich zu sein: wenn die Subsumtion
unter das Gesetz kein richtiges Resultat ergibt, so wird der Fehler wohl am Gesetz
liegen, und dieses ist so zu ändern, daß ein richtiges Resultat dabei
herauskommt. Das ist die leitende Idee der Freirechtsbewegung. Indem sie ein freies,
'überpositives', etwa aus moralischen Werturteilen oder 'Kulturnormen' entnommenes
Recht neben das 'positive' Recht stellt und so unter gesetzlichen Entscheidungen
etwas weiteres versteht, als die herkömmliche Methode, hält sie formal
das Kriterium der Gesetzlichkeit aufrecht und bewegt sich auf demselben Wege, wie
die traditionelle Interpretationslehre.."(GU,40)
Schmitt lehnt eine Aushöhlung des Begriffs der Gesetzmäßigkeit
ab. Aber dennoch will er einerseits die Flexibilität des Rechts andererseits
Rechtssicherheit. Dazu knüpft er an Bentham an:
"Die Tätigkeit des Richters wird nach der (staatspolitischen)
Tätigkeit des Gesetzgebers beurteilt. Das heißt bei Bentham nicht das,
was es heute heißt, wenn jemand den 'Willen des Gesetzgebers' für den
Richter als maßgebend hinstellt. Es bedeutet nur: für beider Tätigkeit
gilt ein und dasselbe Kriterium der Richtigkeit: sie sollen der allgemeinen Erwartung,
der exspecation, entsprechen; ihr Tun soll berechenbar sein."(GU,64f)
In einem anderen Sinne vertritt Schmitt jedoch nun doch einen Positivismus,
nämlich einen Positivismus der richterlichen Praxis. Er vertraut der allgemeinen
gleichartigen Ausbildung und Fortbildung der Richter und einerseits und der realen
Berufspraxis:
"Eine richterliche Entscheidung ist heute dann richtig, wenn anzunehmen
ist, daß ein anderer Richter ebenso entschieden hätte. 'Ein anderer Richter'
bedeutet hier den empirischen Typus des modernen rechtsgelehrten Juristen."(GU,71)
Der Adressat der Begründung von Entscheidungen ist der Berufsrichter, dessen
Berufstätigkeit sich selbst legitimiert. Dabei schließt Schmitt psychologisch
begründetes Kriterium der Entscheidungen aus, auf "gefühlsmäßige
Vorgänge"(GU73f) und subjektive Überzeugtheit soll es nicht ankommen.
"Das aber, wovon überzeugt werden soll, ist nach der Formel dies: daß
dieser Adressat ebenso entschieden hätte, die Entscheidung also voraussehbar
und berechenbar und eine in der Praxis gleichmäßige ist. Die Praxis rechtfertigt
sich durch sich selber. Die Richtigkeit, die so bestimmt ist, soll nicht die absolute
sein, sondern die der modernen Praxis, d.h. aber nicht die, welche bei methodischer
Betrachtung als solche anzusehen ist."(GU,86)
Der Richter hat das moderne Rechtsleben zu beobachten und zu studieren. D.h. er
muß sich umfassend über die Urteile und gängige Rechtsprechung informieren.
Eine weitere Sicherheit gewähren der Instanzenweg und Gerichtshöfe mit
mehreren Richtern.(GU75f)
2.Der Wert des Staates(1914)
Die erste grundsätzliche Abhandlung zur politischen Philosophie enthält
die Schrift "Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen". Der
Staat ist Mittelpunkt der Reihe "Recht, Staat und Individuum" und hat
die Aufgabe Recht in der Welt zu verwirklichen. Schmitt ist hier noch kein Dezisionist,
sondern vertritt einen katholischen Normativismus. Das empirische Individuum vedankt
seinen Wert dem Recht:
"Die Einheit, die in der Individualität liegt und ihren Wert
ausmacht, kann immer nur ein geistiges Band sein, das in normativer Betrachtung
gewonnen wird."(WS,7) "Auch das Individuum, das von irgendeiner Staatstheorie
zum Wertmittelpunkt gemacht wird, muß sich mit seinem Wert legitimieren, denn
von 'Natur' hat nichts seinen Wert, es gibt keinen anderen Wert als den, 'welchen
ihm das Gesetz bestimmt'".(WS96)
Schmitt zitiert hier Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Das
Recht geht hier Schmitt zufolge dem Staat voraus. Höchste Gewalt kann nur sein,
was vom Recht ausgeht: "Das Recht ist nicht im Staat, sondern der Staat ist
im Recht."(WS,48) Der Staat ist" das Rechtsgebilde, dessen Sinn ausschließlich
in der Aufgabe besteht, Recht zu verwirklichen."(WS,52)
3.Römischer Katholizismus und politische Form (1923)
Schmitt war niemals ein katholischer Staatsphilosoph. Er ging davon aus, daß
der Kapitalismus dies verunmöglicht hat und daß die okzidentale Rationalität
die Religion ins Private gedrängt hat, aber aufgrund der Heiligsprechung des
Privaten dennoch Bedeutung behalten hat.
"Eine Vereinigung der katholischen Kirche mit der heutigen Form
des kapitalistischen Industrialismus ist nicht möglich. Der Verbindung von
Thron und Altar wird keine von Büro und Altar folgen, auch keine von Fabrik
und Altar. (...) Wohl aber bleibt bestehen, daß er Katholizismus sich jeder
Gesellschafts- und Staatsordnung anpassen wird, auch derjenigen, in der kapitalistische
Unternehmer herrschen oder eine Organisation der Gewerkschaften und Betriebsräte.
Nur kann er sich erst anpassen, wenn die auf der ökonomischen Situation basierende
Macht politisch geworden ist, also wenn die zur Herrschaft gelangten Kapitalisten
oder Arbeiter in aller Form die staatliche Repräsentation mit ihrer Verantwortung
auf sich nehmen."(RK,50f)
Im "ökonomischen Denken", worunter er das unternehmerische
wie das marxistische gleichermaßen subsumierte, liegt Schmitt zufolge "ein
wesentlicher Gegensatz der heutigen Zeit gegen die politische Idee des Katholizismus".
Er wendet sich auch gegen die katholische Romantik, die er als Reflex auf den Rationalismus
und Mechanismus dechiffriert:
"Darum müßte es einem Katholiken wie ein zweifelhaftes
Lob vorkommen, wenn man seine Kirche zum Gegenpol des mechanistischen Zeitalters
machen will. Es ist ein auffälliger Widerspruch (..), daß eine der stärksten
protestantischen Empfindungen im römischen Katholizismus deshalb eine Entartung
und Mißbrauch sieht, weil er die Religion zu einer seelenlosen Formalität
mechanisiere, während zu gleicher Zeit gerade Protestanten in romantischer
Flucht zur katholischen kirche zurückkehren, weil in ihr die Rettung vor de
Seelenlosigkeit eines rationalistischen und mechanistischen Zeitalters suchen."
(RK,24)
4.Die
>Politische Romantik(1924)
Die Schrift zur "Politischen Romantik" bezieht sich zwar vom Gegenstand
her nicht auf Gegenwartsprobleme, aber die Einstellungen, die Schmitt kritisiert,
leben - das gilt heute auch noch, wenn man an den "Postmodernismus" denkt,
fort. Schmitt bedient sich der Methode, die Begriffe aus der Form der politischen
und ökonomischen Ordnung herzuleiten. Die Romantik gründet in der Auflösung
der traditionalen Formen der Vergesellschaftung:
"Nur in einer individualistisch aufgelösten Gesellschaft konnte
das ästhetisch produzierende Subjekt das geistige Zentrum in sich selbst verlegen.
Nur in einer bürgerlichen Welt, die das Individuum im Geistigen isoliert, es
an sich selbst verweist und ihm die ganze Last aufbürdet, die sonst in einer
sozialen Ordnung in verschiedenen Funktionen hierarchisch verteilt war. In dieser
Gesellschaft ist es dem Individuum überlassen, sein eigener Priester zu sein,
aber nicht nur das, sondern, wegen der zentralen Bedeutung und Konsequenz des Religiösen,
infolgedessen auch der eigene Dichter, der eigene Philosoph, der eigene König,
der eigene Dombaumeister an der Kathedrale seiner Persönlichkeit. Im privaten
Priestertum liegt die letzte Wurzel der Romantik und der romantischen Phänomene."(PR,26)
Schmitts Blick richtet sich auch auf die Dialektik der Aufklärung,
die als Konsequenz der nominalistischen via moderna, der Liquidation traditioneller
Ontologie und Geschichtsteleologie, irrationalistische Tendenzen und die Angst als
Grundstimmung hinterließ:
"Die Realität, deren Macht sich jeden Tag faktisch erwies,
blieb als irrationale Größe im Dunkeln. Es gab kein ontologisches Denken
mehr. Das ganze, von romantischen Geist beeinflußte Jahrhundert ist erfüllt
von einer eigenen Stimmung. So verschieden, systematisch und gefühlsmäßig,
die Voraussetzungen, Ergebnisse und Methoden sind, über den Unterschied von
Optimismus und Pessimismus hinweg, ist die Angst des einzelnen Individuums herauszuhören
und sein Gefühl, betrogen zu sein. Wir sind hilflos in der Hand einer Macht,
die mit uns spielt. (...) In der Vorstellung einer geheimen, 'hinter den Kulissen'
ausgeübten Macht, die sich in den Händen weniger Menschnen vereinigt und
es ermöglicht, mit überlegener Bosheit unsichtbar die Geschichte der Menschen
zu lenken, in solchen Konstruktionen des 'Geheimen' mischt sich ein rationalistischer
Glaube an die bewußte Herrschaft des Menschen über die geschichtlichen
Ereignisse mit einer dämonisch-phantastischen Angst vor einer ungeheuren, sozialen
Macht und oft noch mit dem säkularisierten Glauben an eine Providenz."
(PR,115f)
Schmitt definiert die Politische Romantik als subjektivierten Occasionalismus.
Der Occasionalismus war aus dem Problem der Zweisubstanzenlehre Descartes entstanden,
zu erklären wie das zweifelsfreie reinen Denken dazu kommt, sichere Erkenntnis
der Außenwelt zu verbürgen. Dazu übersetzt er die traditionelle
Metaphysik in das neuzeitliche Philosophieren und führte einen ontologischen
Gottesbeweis mit der Absicht die Gewißheit welthafter Vorgänge zu begründen.
Beim Occasionalismus wird Gott zur wahren Ursache jedes weltlichen Vorgangs.
"Das Problem der wahren Ursache ist das Ausgangsproblem des Occasionalismus.
In Gott fand er alle wahre Ursache, und alle Vorgänge dieser Welt erklärte
er für einen bloß occasionellen Anlaß. Hier rechtfertigt es sich
wiederum, daß die Erörterung der Struktur des romantischen Geistes von
Descartes ausging, der von der Argumentation, daß ich bin, weil ich denke,
von dem Schluß vom Denken auf das Sein, zu der Unterscheidung von innerlich
und äußerlich, Seele und Leib, res cogitans und res extensa geführt
wurde. Daraus ergaben sich die Schwierigkeiten, beides miteinander in Einwirkung
zu bringen und die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib zu erklären. Die
occassionalistische Lösung (...) beseitigte die Schwierigkeiten dadurch, daß
sie Gott als die wahre Ursache jedes einzelnen psychischen und physischen Vorgangs
ansah."(PR,124f)
"Für diesen Vorgang finden die Occasionalisten Umschreibungen und Vergleiche,
die oft an romantische Stimmungen anklingen. Wenn ich ein Haus baue, so ist es eine
höhere Kraft, die meinen Plan entstehen läßt, die meine Hand führt,
die jeden Stein bewegt, so daß schließlich ein Haus entsteht."(PR,125)
Mit der Subjektivierung des Occasionalismus wird die Welt umgewandelt in eine des
Spiels und der Fantasie, sie wird poetisiert. Der Occasionalist erklärt die
Dualismen nicht, sondern er macht sie illusorisch, indem er in ein "höheres
Drittes" ausweicht. Am heftigsten wendet sich Schmitt dagegen, daß die
Romantiker sich nicht entscheiden können und auf ein Drittes ausweichen, sie
wollen alles vermitteln, indem sie das Duale zum Anlaß, occasio eines höheren
Dritten machen.
"Daß es zur romantischen Situation gehört, sich zwischen
mehreren Realitäten - Ich, Volk, Staat, Geschichte - zu reservieren und sie
gegeneinander spielen zu lassen, ist allerdings verwirrend und verdeckt die einfache
Struktur iher Wesensart. Ein Occasionalismus mit mehreren durcheinander agierenden
'wahren Ursachen' könnte jeden über seine wahre Natur täuschen. Es
ist ein Occasionalismus, der von einer Realität zur anderen entweicht, und
dem das 'höhere Dritte', das occasionalistisch notwendig etwas Entferntes,
Fremdes, Anderes enthält, bei der beständigen Abbiegung auf ein anderes
Gebiet, zum Andren oder Fremden schlechthin und schließlich, wenn die überlieferte
Gottesvorstellung fällt, das Andere und Fremde mit dem Wahren und Höhern
Eins wird. Erst dann ist die Romantik vollendet. Solange der Romatiker sich selbst
als das transzendentale Ich fühlte, brauchte ihn die Frage nach der wahren
Ursache nicht zu beunruhigen, er war eben selbst der Schöpfer der Welt in der
er lebte. Fichte hatte in der Grundlage seiner Wissenschaftslehre bekannt, der systematische
Teil seiner Lehre sei Spinozismus, 'nur daß eines jeden Ich selbst die höchste
Substanz'(am Ende von 3 /MB), der Gott des spinozistischen Systems sei."(PR,131f)
Die Welt bleibt indes wie sie ist, wenn man sie im Spiel ändert
und Beliebiges in sie hineinprojiziert. Dies geht nur wenn außen Ruhe und
Ordnung herrschen, so daß von der Politischen Romantik selbst der Metternichsche
Polizeistaat zum Organischen, Echten, Christlichen erhoben wird. Die Kritik von
Schmitt trifft auch noch den spontaneistischen Kult von Chaos und Tumult der narzißtischen
Blüten unserer Zeit:
"Der Romantiker, der kein Interesse daran hat,die Welt in realitate
zu ändern, hält sie für gut, wenn sie ihn in seiner Illusion nicht
stört. Ironie und Intrige bieten ihm ausreichende Waffen,um seine subjektivistische
Autarkie zu sichern und im Okkassionellen zu halten, im übrigen überläßt
er die äußern Dinge ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit. Der geistige
Revolutionär liebt, auch wenn er theoretisch Tumult und Chaos postuliert, in
der gewöhnlichen Wirklichkeit die äußere Ordnung."(PR,138)
Die Romantik konnte sich mit alles möglichen verbünden, aufgrund
der Beliebigkeit des occassionalistischen Ausweichens in ein Drittes. Sie kann gestern
liberal, heute links und morgen rechts sein, indem sie sich dem jeweils Bestehenden
akkomodiert:
"Solange die Revolution da ist, ist die politische Romantik revolutionär,
mit der Beendigung der Revolution wird sie konservativ, und in einer ausgesprochen
reaktionären Restauration weiß sie auch solchen Zuständen die romantische
Seite abzugewinnen. (...) Diese Wandelbarkeit des politischen Inhalts ist nicht
zufällig, sondern eine Folge der occasionellen Haltung und tief im Wesen des
Romantischen begründet, dessen Kern Passivität ist."(PR,160)
5. Die Diktatur(1921)
Bereits die Politische Romantik von Carl Schmitt befaßte sich implizit mit
der krisenhaften Situation der Weimarer Republik. Schmitts Interesse läuft
darauf hinaus, jedenfalls in den Schriften vor 1933, den bürgerlichen Kernbestand
der Verfassung vor dem Untergang zu bewahren. Dabei interessieren ihn - wie bereits
in der frühen Schrift "Gesetz und Urteil" - Probleme der Rechtsgründung.
Hierbei bezieht er sich auf die Lehre vom povoir constituant von Sieyes, nach der
die verfassungsgebende Gewalt nicht an die Verfassung gebunden ist. Die naturrechtliche
Begründung fällt bei Schmitt jedoch fort. Die poivoir constituant ist
an nichts gebunden. Den Begriff der Diktatur bildet Schmitt nicht im Gegensatz zu
dem der Demokratie, sondern begreift ihn von der Sicherung oder Schaffung von Normen
her. (Den Begriff der Demokratie werden wir im Rahmen der Abhandlung der Parlamentarismusschrift
behandeln) Dabei unterscheidet er zwei Arten von Diktatur, die kommisarische und
die souveräne. Beiden ist gemeinsam, daß sie einen verfassungsmäßigen
Normalzustand herstellen sollen. Denn Schmitt zufolge setzt die Geltung von Normen
den Normalzustand voraus. Die Abweichung von der Norm in der Diktatur wird mit der
Sicherung des Normalzustandes legitimiert, durch welche Normen überhaupt erst
faktisch gelten können.
"Daß jede Diktatur die Ausnahme von der Norm enthält,
besagt nicht zufällige Negation einer beliebigen Norm. Die innere Dialektik
des Begriffs liegt darin, daß gerade die Norm negiert wird, deren Herrschaft
durch die Diktatur in der geschichtliche-politischen Wirklichkeit gesichert werden
soll. Zwischen der Herrschaft der zu verwirklichenden Norm und der Methode ihrer
Verwirklichung kann also ein Gegensatz bestehen. Rechtsphilosophisch liegt hier
das Wesen der Diktatur in der allgemeinen Möglichkeit der Trennung von Normen
des Rechts und Normen der Rechtsverwirklichung. Eine Diktatur, die sich nicht abhängig
macht von dem einer normativen Vorstellung entsprechenden, aber konkret herbeizuführenden
Erfolg, die dem nach nicht den Zweck hat, sich selbst überflüssig zu machen,
ist ein beliebiger Despotismus."(D,XVI)
Nun gibt es zwei Möglichkeiten der Ausübung einer Diktatur,
die Schmitt von der Art der Legitimation des Diktators her unterscheidet. Die kommisarische
Diktatur setzt eine Verfassung, eine pouvoir constituè (konstituierte Gewalt)
bereits voraus. Im Ausnahmezustand werden dann Notstandsgesetze angewandt. Dazu
gehört ein "Aktions- kommisar", d.h. eine Person, die die Vollmacht
hat, um einem zu erreichenden Zweck willen unter Aufhebung aller Rechtsschranken
alle Maßnahmen nach Lage der Sache zu treffen. Die souveräne Diktatur
legitimiert sich dagegen nur vor der poivoir constituant (konstiuerende Gewalt).
Die Diktatur ist daher Schmitt zufolge kein rechtsfreier Zustand:
"Man hat von der Diktatur gesagt, sie sei ein Wunder und das damit
begründet, daß man sie als Suspendierung der staatlichen Gesetze mit
der Suspendierung der Naturgesetze beim Wunder verglich. In Wahrheit ist nicht die
Diktatur dieses Wunder, sondern die Durchbrechung des rechtlichen Zusammenhangs,
die in einer solchen neubegründeten Herrschaft liegt. Sowohl die kommissarische
wie die souveräne Diktatur hat dagegen einen rechtlichen Zusammenhang. Die
souveräne Diktatur beruft sich auf den pouvoir constituant, der durch keine
entgegengesetze Verfassung beseitigt werden kann."(D,139)
Die Analogie mit der Natur führt Schmitt weiter, in dem er sagt
(D,142), daß pouvoir constiuant und pouvoir constituè sich verhalten
wie natura naturans und natura naturata (Natur als Subjekt und als Objekt). Auch
zum Begriff der Diktatur des Proletariats äußert sich Schmitt. Den Begriff
der Diktatur des Proletariats deute er in seinem Sinne als souveräne Dikatur.
"Der Begriff der Diktatur allerdings, wie er in der Forderung der
Diktatur des Proletariats liegt, ist in seiner theoretischen Besonderheit bereits
vorhanden (1832/1848/MB). Die von Marx und Engels übernommen Vorstellung verwertete
natürlich zunächst nur das damals allgemeine Schlagwort, das seit 1830
auf die verschiedensten Personen und Abstraktionen angewandt wurde... Es darf jedoch
hier schon bemerkt werden, daß, von einer allgemeinen Staatslehre aus betrachtet,
die Diktatur des mit dem Volk identifizierten Proletariats als Übergang zu
einem ökonomischen Zustands, in welchen der Staat 'abstirbt', den Begriff einer
souveränen Diktatur voraussetzt, wie er der Theorie und Praxis des Nationalkonvents
zugrundeliegt. Auch für die Staatstheorie dieses Übergangs zur Staatslosigkeit
gilt das, was Engels in der Ansprache an den Bund der Kommunisten im März 1859
für seine Praxis verlangte: es ist dasselbe 'wie in Frankreich 1793'"(D,204f)
(2)
Die Bolschewiki haben sich in der Tat mit dem Jakobinern von 1793 verglichen.
Schmitt trifft deren Selbstverständnis durchaus und seine Formulierungen erscheinen
eleganter als die von Lenin. Auch Schmitt sieht kein Gegensatz von Diktatur und
Demokratie:
"Auch der Staat, in dem das Proletariat, sei es als Mehrheit oder
als Minderheit, die herrschende Klasse ist, herrscht als Ganzes, als 'zentralisierte
Maschine', als 'Herrschaftsapparat', Diktatur. Nun will dieser proletarische Staat
nichts Definitives, sondern ein Übergang sein. (...) Die Diktatur ist ein Mittel,
um einen Zweck zu erreichen; weil ihr Inhalt nur von dem Interesse an dem zu bewirkenden
Erfolg, also immer nur nach Lage der Sache bestimmt ist,kann man sie nicht allgemein
als Aufhebung der Demokratie definieren."(D,XIV)
6.Politische Theologie
Um den Begriff der Souveränität von Schmitt zu verstehen, müssen
wir uns die Lehre vom pouvoir constituant und constituè in Errinnerung rufen,
wie sie in "Die Diktatur" entwickelt worden ist. Der Souverän steht
außerhalb der normal geltenden Rechtsordung, er ist im revolutionären
Fall der pouvoir constituant, im restaurativen pouvoir constituè. So wird
der berühmte Satz von Schmitt verständlich:
"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."
(PTH, 11)
Die klassische Definition des Souveränität als höchste,
nicht ableitbare Herrschermacht läßt Schmitt zwar gelten. Er interessiert
sich jedoch für die konkrete Anwendung. Und dies ist der Ausnahmezustand. Diesen
analogisiert er mit dem theologischen Begriff des Wunders, wie er das bereits mit
dem Begriff der Diktatur getan hatte. Solche Analogien hatte Bodin, der die klassische
Souveränitätslehre begründete und auf den Schmitt sich implizit bezieht,
verwendet. Der Fürst ist bei ihm, das, was Gott für die Schöpfung
ist. Die Souveränität gründet bei ihm in der voluntas nicht in der
ratio. Gottes Wille geht in der voluntaristischen Gotteslehre des Spätmittelalters
seiner Vernunft voran. Die Schrift heißt "Politische Theologie"
aufgrund dieser Analogien.
"Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte
theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus
der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem zum Beispiel der
allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer
systematischen Struktur, deren Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische
Betrachtung dieser Begriffe. Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine
analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie. Erst in dem Bewußtsein
solcher analogen Stellung läßt sich die Entwicklung erkennen, welche
die staatsphilosophischen Ideen in den letzten Jahrhunderten genommen haben. Denn
die Idee des modernen Rechtsstaats setzt sich mit dem Deismus durch, mit einer Theologie
und Metaphysik, die das Wunder aus der Welt erweist und die im Begriff des Wunders
enthaltene, durch einen unmittelbaren Eingriff eine Ausnahme statuierende Durchbrechung
der Naturgesetze ebenso ablehnt wie den unmittelbaren Eingriff des Souveräns
in die geltende Rechtsordnung. Der Rationalismus der Aufklärung verwarf den
Ausnahmefall in jeder Form. Die theistische Überzeugung der konservativen Schriftsteller
der Gegenrevolution konnte daher versuchen, mit Analogien aus einer theistischen
Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch
zu stützen."(PTH,49)
"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."
Dieser Kernsatz der "Politischen Theologie" ist genauer zu
betrachten. Der Fall, in dem sich entscheidet, wer Souverän ist, die Ausnahme,
ist entscheidend. Diesen Begriff übernimmt er von Kierkegaard, den er ohne
namentliche Nennung zitiert. Ich zitiere die Passage vollständig: "Die
Ausnahme erklärt also das Allgemeine und sich selbst, und wenn man das Allgemeine
recht studieren will, braucht man sich bloß nach einer berechtigten Ausnahme
umzusehen; sie tut das Allgemeine bei weitem deutlicher kund als das Allgemeine
selbst. (Das Folgende läßt Schmitt aus/MB) Die berechtigte Ausnahme ist
im Allgemeinen versöhnt; das Allgemeine ist von Grund auf polemisch der Ausnahme
gegenüber; denn es will sich seine Vorliebe dafür nicht merken lassen,
bevor die Ausnahme es gleichsam zu diesem Eingeständnis zwingt. Hat die Ausnahme
nicht die Macht dazu, ist sie nicht berechtigt, und daher ist es vom Allgemeinen
sehr klug, sich nicht zu früh etwas merken zu lassen. Wenn der Himmel einen
Sünder mehr liebt als neunundneunzig Gerechte, dann weiß der Sünder
die von Anfangan gewiß nicht; er hingegen vernimmt bloß des Himmels
Zorn, bis er zuletzt den Himmel gleichsam nötigt, mit der Sprache herauszurücken.
(Dann zitiert Schmitt weiter:) Im Lauf der Zeit wird man des ewigen Geschwätzes
vom Allgemeinen und Allgemeinen überdrüssig, das bis zur langweiligsten
Fadheit wiederholt wird. Es gibt Ausnahmen. Kann man sie nicht erklären, kann
man auch das Allgemeine nicht erklären. Gewöhnlich wird man der Schwierigkeit
nicht gewahr, weil man nicht einmal mit Leidenschaft an das Allgemeine denkt, sondern
mit unvergleichlicher Oberflächlichkeit. Die Ausnahme denkt das Allgemeine
mit energischer Leidenschaft. "(Kierkegard, Die Wiederholung, in: Die Krankheit
zum Tode und anderes (dtv 6070), p.435f) Den Begriff der Entscheidung haben wir
bereits ihm Rahmen der Abhandlung "Gesetz und Urteil" untersucht. Schmitt
bezieht sich auf das dort abgehandelte.
"Jede juristische Entscheidung enthält ein Moment inhaltlicher
Indifferenz, weil der juristische Schluß nicht bis zum letzten Rest aus seinen
Prämissen ableitbar ist, und der Umstand, daß eine Entscheidung notwendig
ist, ein selbstständiges determinierendes Moment bleibt. Dabei handelt es sich
nicht um die kausale und psychologische Erklärung einer solchen Entscheidung,
obwohl auch hierfür die abstrakte Entscheidung als solche von Bedeutung ist,
sondern um die Bestimmung des rechtlichen Wertes. (...)". Das rechtliche Interesse
an der Entscheidung "ist in der Eigenart des Normativen begründet und
ergibt sich daraus, daß ein konkretes Faktum konkret beurteilt werden muß,
obwohl als Maßstab der Beurteilung nur ein rechtliches Prinzip in seiner Allgemeinheit
gegeben ist. So liegt jedesmal eine Transformation vor. Daß die Rechtsidee
sich nicht aus sich selbst umsetzen kann, ergibt sich schon daraus, daß sie
nichts darüber aussagt, wer sie anwenden soll. In jeder Umformung liegt eine
auctoritas interpositio."(PTH,41f)
Während Schmitt jedoch in der ersten Schrift ein Prinzip für
die Beurteilung der Richtigkeit des Urteiles aufstellen konnte, geht dies hier nicht
mehr. Souverän sind ja nicht die Richter. Die Entscheidung hat daher keinen
rationalen Grund.
"Die Entscheidung ist, normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren."(PTH,42)
Karl Löwith hat die Gefahr, die mit diesem Dezisionismus verbundene
nihilistische "Existentialpolitik" am prägnantesten charakterisiert:
"Wenn man Schmitt zur Bestimmung des Politischen durch den Begriff
einer souveränen Entscheidung von jedem zentralen Sachgebiet abstrahiert, so
bleibt als Wozu der Entscheidung folgerichtig nur übrig der jedes Sachgebiet
übersteigende und es in Frage stellende Krieg, d.h. die Bereitschaft zum Nichts,
welches der Tod ist, verstanden als Opfer des Lebens an einen Staat, dessen eigne
'Voraussetzung' schon das Entscheidend-Politische ist. Schmitts Entscheidung für
das Politische ist nicht wie eine religiöse, metaphysische oder moralische,
überhaupt geistige Entscheidung eine solche für ein bestimmtes und maßgebendes
Sachgebiet, sondern nichts anderes als eine Entscheidung für die Entscheidung
- ganz gleich wofür -, weil diese ihrerseits schon das Wesen des Politischen
ist."(Karl Löwith, Politischer Dezisionismus, in: Internationale Zeitschrift
für Theorie des Rechts, 9.Jg, 1935, 101ff, 110)
Schmitt wendet sich nun noch Schriften der Gegenaufklärung zu,
wobei er deren kritische Haltung gegen den Liberalismus teilt, deren positive monarchisch-theologische
Legitimationstheorie er jedoch nicht teilt. Was Schmitt an den Politischen Romantikern
beklagte, daß sie sich nicht entscheiden können, sondern im ewigen Gespräch
verharren, wirft Schmitt auch dem politischen Liberalismus vor. Dabei beruft er
sich auf Donoso Cortes, dem spanischen Gegenaufklärer.
"Es liegt, nach Donoso, im Wesen des bürgerlichen Liberalismus,
sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern zu versuchen, statt dessen eine
Diskussion anzuknüpfen. Die Bourgeoisie definiert er geradezu als eine 'diskutierende
Klasse', una clasa discutidora. Damit ist sie gerichtet, denn darin liegt, daß
sie der Entscheidung ausweichen will. Eine Klasse, die alle politsche Aktivität
ins Reden verlegt, in Presse und Parlament, ist einer Zeit sozialer Kämpfe
nicht gewachsen."(PTH,75)
Dies kann schwerlich abweisen. Wir werden sehen, daß Schmitt
mit dieser Problematik sich weiter beschäftigen wird, wenn er den Parlamentarismus
behandelt. Ähnlich wie heute den Kommunikationstheoretikern muß man Schmitt
jedoch entgegenhalten, daß die Diskussion und die Öffentlichkeit in der
Realität weder in England noch in Deutschland wirklich eine derartige entscheidende
Rolle gespielt hat. Die Kritik von Wolfgang Jäger, der die Parallelen zwischen
Schmitt und Habermas herausgearbeitet hat, zeigt an dem Öffentlichkeitsund
Parlamentarismusbild bei den beiden Autoren (in: Öffentlichkeit und Parlamentarismus
, Stuttgart 1973), daß es sich um die Idealisierung des deutschen Bildungsbürgertums
und den deutschen Parlamentarismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert handelt,
also der Phase des Frühkonstitutionalismus, in der das Bürgertum real
politisch einflußlos war und allenfalls in philosophischer Deliberation und
professoraler Prinzipienstreit verblieben war. Schmitts Theorie hat jedoch wenigstens
den Vorteil, das er diese Idealisierung des Frühkonstitutionalismus nicht zum
normativen Ideal erhebt, sondern als unhaltbar entlarvt. Daher ist es lohnenswert
die scharfsinnigen Bemerkungen von Schmitt kennenzulernen.
7. Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus(1923)
Schmitts Bild des Parlaments wird in der Replik auf den Einwand von Thoma sehr deutlich:
"Der sachliche, durch politische Kombinationen nicht beirrte Einwand
geht dahin, daß ich die geistige Grundlage des Parlamentarismus in ganz veralteten
Gedankengängen finde, weil ich Diskussion und Öffentlichkeit für
wesentlichen Prinzipien des Parlaments halte; derartiges sei vielleicht vor einigen
Generationen maßgebende Vorstellung gewesen, heute aber stände das Parlament
längst auf einer anderen Basis. daß der Glaube an Öffentlichkeit
und Diskussion heute als etwas Veraltetes erscheint, ist auch meine Befürchtung.
(...) Ich sehe aber nicht, worin der heutige Parlamentarismus, wenn die Prinzipien
der Diskussion und der Öffentlichkeit wirklich entfallen, eine neue Grundlage
finden könnte und weshalb die Wahrheit und Richtigkeit des Parlaments dann
noch einleuchtend wären."(GLP (Vorwort 2.Auflage 1926)5f)
Das reale Parlament der Weimarer Republik mißt Schmitt an diesem
Bild, sieht aber, daß in der Phase des Monopolkapital und der Selbstorganisation
der Gesellschaft in soziale und ökonomische Machtgruppen eine konsensuelle
Entscheidungsfindung im Parlament bloße Ideologie ist. Seine Kritik könnte
auch auf einem Teach-in der Studentenbewegung als linke Parlamentarismuskritik vorgetragen
worden sein, ohne daß ihre Herkunft von einem Denker, der, wenn er auch kein
Nazi war, so doch dem Faschismus den Weg gebahnt hatte, aus dem Text hervorgegangen
wäre.
"Verhandlungen ..., bei denen es nicht darauf ankommt, die rationale
Richtigkeit zu finden, sondern Interessen nach Möglichkeit zur Geltung zu bringen,
sind natürlich auch vom mancherlei Reden und Erörterungen begleitet, aber
nicht im prägnanten Sinne Diskussion.(...) Die Lage des Parlamentarismus ist
heute so kritisch, weil die Entwicklung der modernen Massendemokratie die argumentierende
öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität gemacht hat. Manche
Normen des heutigen Parlamentsrechts, vor allem die Vorschriften über die Unabhängigkeit
des Abgeordneten und über die Öffentlichkeit der Sitzungen, wirken infolgedessen
wie eine überflüssige Doktrin, unnütz und sogar peinlich, als hätte
jemand die Heizkörper einer modernen Zentralheizung mit roten Flammen angemalt,
um die Illusion eines lodernden Feuer hervorzurufen. Die Parteien (...) treten haute
nicht mehr als diskutierende Meinungen, sondern als soziale oder wirtschaftliche
Machtgruppen einander gegenüber, berechnen die beiderseitigen Interessen und
Machtmöglichkeiten und schließen auf dieser faktischen Grundlage Kompromisse
und Koalitionen. Die Massen werden durch einen Propagandaapparat gewonnen, dessen
größte Wirkungen auf einem Appell an nächstliegende Interessen und
Leidenschaften beruhen. Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte
Diskussion charakteristisch ist, verschwindet. An seine Stelle tritt in den Verhandlungen
der Parteien die zielbewußte Berechnung der Interessen und Machtchancen; in
der Behandlung der Massen die plakatmäßig eindringliche Suggestion oder
(...) das 'Symbol'. Die Literatur zur Psychologie, Technik und Kritik der öffentlichen
Meinung ist heute sehr groß (Schmitt verweist auf Robert Michels "Soziologie
des Parteiwesens"/MB). Man darf deshalb wohl als bekannt voraussetzen, daß
es sich heute nicht mehr darum handelt, den Gegner von einer Richtigkeit oder Wahrheit
zu überzeugen, sondern die Mehrheit zu gewinnen, um mit ihr zu herrschen."(GLP
Vorwort 2.Auflage,10f)
Schmitt unterscheidet strikt zwischen Parlamentarismus und Demokratie.
Den Parlamentarismus schreibt er der Gedankenwelt des Liberalismus zu und bestimmt
ihn als "government by discussion". Heute ist es üblich geworden,
Parlamentarismus und Demokratie zu unterscheiden. Schmitt hat jedoch die Identifikation
von Demokratie und Parlamentarismus des 19. Jahrhunderts zum Kritikobjekt und muß
diese Unterscheidung erst einführen. Zunächst ist der Begriff des Parlamentarismus
zu präzisieren. Schmitt sieht ihn in enger Beziehung mit dem Begriff der Öffentlichkeit
und der Diskussion, wie bereits an anderer Stelle erwähnt. Der Zweck des Parlaments
ist die gemeinsame Findung einer richtigen Entscheidung, deren relative Richtigkeit
durch Diskussion gewährleistet werden soll. Dazu ein Textbeleg:
"Die ratio des Parlaments liegt nach der treffenden Bezeichnung
von Rudolf Smend im 'Dynamisch-Dialektischen', d.h. in einem Prozeß der Auseinandersetzung
von Gegensätzen und Meinungen, aus dem sich der richtige Wille als Resultat
ergibt. Das Wesentliche des Parlaments ist also öffentliches Verhandeln von
Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion,
Parlamentieren, wobei zunächst noch nicht an Demokratie gedacht zu werden braucht.(...)
Ausgehend vom Recht (als dem Gegensatz zur Macht) zählt er (Guizot/MB) als
Wesensmerkmale des die Herrschaft des Rechts garantierenden Systems auf: 1. daß
die 'povoirs' immer gezwungen sind, zu diskutieren und dadurch gemeinsam die Wahrheit
zu suchen; 2. daß die Öffentlichkeit des ganzen staatlichen Lebens die
'pouvoirs' unter die Kontrolle der Bürger stellt; 3. daß die Preßfreiheit
die Bürger veranlaßt, selbst die Wahrheit zu suchen und sie dem 'pouvoir'
zu sagen. Das Parlament ist infolgedessen der Platz, an dem die unter den Menschen
verstreuten, ungleich verteilten Vernunftspartikeln sich sammeln und zur öffentlichen
Herrschaft bringen. Das scheint eine typisch rationalistische Vorstellung zu sein.
Doch wäre es unvollständig und ungenau, das moderne Parlament als eine
aus rationalistischen Geist entstandene Institution zu definieren. Seine letzte
Rechtfertigung und seine epochale Evodenz beruhen darauf, daß dieser Rationalismus
nicht absolut und unmittelbar, sondern in einem spezifischen Sinne relativ ist.
Gegen jenen Satz von Guizot hatte Mohl eingewendet: wo ist irgendeine Sicherheit,
daß im Parlament die Träger der Vernunftsbruchstücke sind. Die Antwort
liegt in den Gedanken der freien Konkurrenz und der prästabilierten Harmonie,
die allerdings in der Institution des Parlament, wie überhaupt in der Politik,
oft in kaum erkennbaren Verkleidungen auftreten."(GLP,43ff)
Der Parlamentarismus wird üblicherweise als funktioneller Notbehelf
gerechtfertigt. Da das Volk nicht in seiner Gesamtheit an einem Platze zusammenkommen
kann und auch nicht jeder Einzelne befragt werden kann, behilft man sich mit einem
gewählten Ausschuß. Bereits bei Sieyes hat sich jedoch gezeigt, das hierin
eine eigentümliche Dialektik liegt, nach der letzlich aus einem fuktionellen
Notbefehlf ein Selbstzweck wird. Eine Verselbständigung der Ausschüsse
bis hin zur Diktatur sind dem zufolge im Parlamentarismus potentiell enthalten.
Auf diesen Sachverhalt geht Schmitt explizit ein:
"So entsteht die bekannte Stufenleiter: das Parlament ist ein Ausschuß
des Volkes, die Regierung der Ausschuß des Parlaments. Dadurch erscheint der
Gedanke des Parlamentarismus als etwas wesentlich Demokratisches. Aber trotz aller
Gleichzeitigkeit und aller Zusammenhänge mit demokratischen Ideen ist er das
nicht, ebensowenig wie er in den praktischen Gesichtspunkten der Expedienz aufgeht.
Wenn aus praktischen und technischen Gründen statt des Volkes Vertrauensleute
des Volkes entscheiden, kann ja auch im Namen desselben Volkes ein einziger Vertrauensmann
entscheiden, und die Argumentation würde, ohne aufzuhören demokratisch
zu sein, einen antiparlamentarischen Cäsarismus rechtfertigen." (GLP,42)
Diese Tendenz wurde von den klassischen Parlamentarismustheorien gesehen.
Die Gewaltenteilung diente der Begrenzung dieser Tendenz.
"Dreiteilung der Gewalten, inhaltliche Unterscheidung von Legislative
und Exekutive, Ablehnung des Gedankens, daß die Fülle der Staatsgewalt
sich an einem Punkt sammeln dürfe, alles das enthält in der Tat einen
Gegensatz zu der demokratischen Identitätsvorstellung."(GLP,47)
Dies verbindet sich mit der Vorstellung einer öffentlichen Meinung,
die derjenigen der Arcan-Politik sich entgegensetzt. Aufklärung ist so auch
ein Öffentlich-Machen:
"Eine von wenigen Menschen hinter verschlossenen Türen betriebene
Kabinettspolitik erscheint jetzt als etwas eo ipso Böses und die Öffentlichkeit
des politischen Lebens infolgedessen als etwas schon seiner Öffentlichkeit
wegen Richtiges und Gutes. (...) Das Licht der Öffentlichkeit ist das Licht
der Aufklärung, die Befreiung vom Aberglauben, Fanatismus und herrschsüchtiger
Intrige."(GLP,48)
Der Öffentlichkeit der Meinung, die durch das Recht auf Rede-,
Presse und Versammlungsfreiheit gewährleistet wird, korrespondiert für
die Bereiche, wo "die Öffentlichkeit zum Zwang werden kann, (...) die
entgegengesetzte Forderung des Wahlgeheimnisses..."(GLP,50)
D.h. die Privatsphäre wird ebenso gesichert, die bürgerliche Öffentlichkeit
ist die von Privatleuten, die auch ein Recht auf ihre Geheimnisse haben. Es ist
aber auch darin zu erinnern, daß den Einsichten von Richard Sennet zufolge,
diese Konstellation von Privatheit und Öffentlichkeit, wie sie ihre Blütezeit
im Ancien Regime hatte, in dem Moment ihrer Verallgemeinerung im Laufe des 19. Jahrhunderts
ihre destruktiven Tendenzen entfaltet, so daß die Differenz von öffentlich
und privat in der "Tyrannei der Intimität" schließlich wieder
terroristisch eingeebnet wird. Was in den Kaffeehäusern von Paris beginnt,
das klassenneutrale, dafür aber politisch entleerte Gespräch, etabliert
sich letzlich auch in der politischen Öffentlichkeit. Die politische Rede verkommt
zum small talk und die Entscheidungen werden anderswo getroffen, wie auch Schmitt
feststellen wird. Die Aufgabe des Parlaments ist die Gesetzgebung. Sie begründet
die autoritäre Befehlsgewalt der Exekutive. In der rationalistischen Deutung
des Verhältnisses von veritas und autoritas, nach der letztere der ersteren
untergeordentet, sieht Schmitt ein wesentliches Moment des Parlamentarismus.
"Das Gesetz, Veritas im Gegensatz zu bloß Autoritas, und
die generelle richtige Norm im Gegensatz zu dem bloß wirklichen konkreten
Befehl, welcher (...) als Imperativ immer ein individuelles, unübertragbares
Moment enthält, werden als etwas Intellektualistisches aufgefaßt zum
Unterschied von der Exekutive, die wesentlich Handeln ist. Gesetzgebung ist deliberare,
Exekutive agere. (...) Am wenigsten doktrinär erklärt es der Federalist(1788):
Die Exekutive muß in der Hand eines einzigen Mannes liegen, weil ihre Energie
und Aktivität davon abhängt; es ist ein allgemeines, von den besten Politikern
und Staatsmännern anerkannten Prinzip, daß Gesetzgebung Deliberation
ist und deshalb von einer größeren Versammlung wahrgenommen werden muß,
während zur Exekutive Dezision und Wahrung der Staatsgeheimnisse gehören,
Dinge, 'die in demselben Maße abnehmen, wie die Zahl zunimmt'. (...) die Garantien
bürgerlicher Freiheit kann man wohl bei der Legislative, nicht bei der Exekutive
konsequent durchführen; in der Legislative verhindern die Gegensätze der
Meinungen und Parteien vielleicht manchen heilsamen und richtigen Beschluß,
dafür hemmt aber die Argumentation der Minderheit Ausschreitungen der Mehrheit,
abweichende Meinungen sind hier nützlich und notwendig; anders in der Exekutive,
wo es, namentlich im Krieg und während eines Aufruhrs, auf energisches Handeln
ankommt, und dazu gehört die Einheit der Dezision."(GLP,56f)
Der relativierte Rationalismus hört bei der Gesetzgebung auf,
die Exekutive kann nicht deliberieren, sie muß Maßnahmen ergreifen.
Hier sieht Schmitt einer der Keime des Untergangs des Parlamentarismus. In einer
anderen Schrift untersucht er dies gründlicher (in Legitimität und Legalität);
darauf ist noch zurückzukommen. Hier ist noch darauf einzugehen, daß
der Rationalismus durch die Gewaltenteilung beschränkt wird. Die Aufhebung
der Balance führt Schmitt zufolge zur Diktatur der Vernunft:
"Ein solcher Rationalismus (Schmitt meint den von Condorcet, der
die Mediierung der Staatsgewalt ablehnte/MB) führte zur Aufhebung der Balance,
zur Diktatur der Vernunft. Gemeinsam ist beiden die Identifikation von Gesetz und
Wahrheit; aber der relative Rationalismus der Balancentheorie beschränkt sich
auf die Legislative und Parlament, konsequenterweise innerhalb des Parlaments wieder
auf eine nur relative Wahrheit."(GLP,58)
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts werden die liberalen
Ideen der Balance der Kräfte in die philosophischen Systeme eingegliedert.
Schmitt verweist auf die Theorien organischer Vermittlung bei der Romantik und bei
Hegel.
"Während in der deutschen Romantik die liberale Diskussion
zum ewigen Gespräch wird, ist sie im philosophischen System Hegels die Selbstentwicklung
des Bewußtseins aus Positionen und Negationen zu immer neuen Synthesen. Die
ständische, auf nur beratende Mitwirkung beschränkte Vertretung des Volkes
hat bei Hegel die Bestimmung, 'daß das öffentliche Bewußtsein als
empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken der Vielen darin zur Existenz
komme'; die Stände sind ein vermittelndes Organ zwischen der Regierung und
dem Volk, sie haben nur eine Mitwirkung bei der Gesetzgebung; durch die Öffentlichkeit
ihrer Verhandlungen erhält das 'Moment der allgemeinen Erkenntnis seine Ausdehnung',
durch die 'Eröffnung dieser Gelegenheit von Kenntnissen kommt die öffentliche
Meinung erst zu wahrhaften Gedanken und zur Einsicht in den Zustand und Begriff
des Staates und dessen Angelegenheit und damit erst zu einer Fähigkeit, darüber
vernünftiger zu urteilen'. So ist diese Art von Parlamentarismus 'ein Bildungsmittel,
und zwar eines der größten'. (...); die Öffentlichkeit ist das 'größte
Bildungsmittel für Staatsinteressen überhaupt'. Dadurch entsteht erst
die Lebendigkeit staatlichen Interesses und eine öffentliche Meinung, die nach
Hegel die 'unorganische Weise' ist, 'wie sich das, was ein Volk will und meint,
zu erkennen gibt'."(GLP,58f)
Nun ist der Begriff der Demokratie bei Schmitt zu klären. Schmitt
faßt ihn so allgemein, daß er antike wie moderne Demokratie, Rätedemokratie,
den Jakobinismus ebenso wie die parlamentarische Demokratie umfaßt. Die Unterschiede
liegen dann darin, wer vollwertiges Mitglied des Gemeinwesens ist. Die vollwertigen
Mitglieder sind homogen. Dieser Gedankengang ist dem Jakobinismus nicht fern, trotz
seiner Liebschaft mit der Gegenrevolution konnte sich Schmitt der Revolutionsliteratur
nicht entziehen. Er zitiert immer wieder Sieyes und Rousseau. Der jakobinische Traum
von einer Gesellschaft ohne Widersprüche, in den das Soziale eine homogene
Substanz darstellt, die im Politischen ihr Kraftfeld hat, ist im 20.Jahrhundert
durchaus noch aktuell und zur materiellen Gewalt geworden. Der Leviathan ist immer
wieder gerufen worden, aber stattdessen ist Behemoth gekommen. Daß ein Politizismus
unvermeidlich zur Regression führt hat Luhmann richtig aufgewiesen:
"Man kann eine funktional differenzierte Gesellschaft nicht auf
Politik zentrieren, ohne sie zu zerstören."(N.Luhmann, Politische Theorie
im Wohlfahrtsstaat, München 1981, 23)
Die Homogenität, von der Schmitt spricht, ist eine politische,
keine ökonomische. Er behandelt das Verhältnis von ökonomischer und
politischer Homogenität nicht systematisch, obwohl er diesen Zusammenhang sieht:
"Aus der ökonomischen Gleichheit folgt noch keine politische
Homogenität; wohl können - negativ - große ökonomische Ungleichheiten
eine sonst bestehende politische Homogenität aufheben oder gefährden.
Die weitere Ausführung dieser Themen gehört in einen anderen Zusammenhang."(GLP,14Anm)
Dieser Zusammenhang ist, soviel mir bekannt ist, von Schmitt nicht
wieder aufgegriffen worden. In der Unterthematisierung solcher Probleme liegt ein
Defizit seiner politischen Theorie. Er unterscheidet zwar explizit zwischen Gemeinwesen,
die eine Homogenität ohne Heterogenität besitzen, worunter er Gemeinwesen
versteht, die mehr oder weniger eine ökonomische Gleichheit kennen und Gemeinwesen,
in denen es Heterogenität gibt und daher Teile der Bevölkerung ausschließen.
Hier finden wir schon eine durchaus - kritsch gelesen - Entlarvung des in der Demokratie
verankterten alltäglichen Rassismus, gegen den Schmitt freilich keine Einwände
hat.
Die Demokratie kann Teile der beherrschten Bevölkerung ausschließen,
"ohne aufzuhören Demokratie zu sein, daß sogar im allgemeinen
bisher zu einer Demokratie immer auch Sklaven gehörten oder Menschen, die in
irgendeiner Form ganz oder halb entrechtet und von der Ausübung der politischen
Gewalt ferngehalten waren, mögen sie nun Barbaren, Unzivilisierte, Atheisten,
Aristokraten oder Gegenrevolutionäre heißen. Weder in der athenischen
Stadtdemokratie noch im englischen Weltreich sind alle Bewohner des Staatsgebiets
politisch gleichberechtigt. Von den über 400 Millionen Bewohnern des englischen
Weltreich sind über 300 Millionen nicht englische Bürger. (...) Der moderne
Imperialismus hat zahlreiche neue, der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung
entsprechende Herrschaftsformen herausgebildet, die sich in demselben Maße
ausdehnen, wie sich, wie sich innerhalb des Mutterlandes die Demokratie entwickelt.
Kolonien , Protektorate, Mandate, Interventionsverträge und ähnliche Formen
der Abhängigkeit ermöglichen es heute einer Demokratie, eine heterogene
Bevölkerung zu beherrschen, ohne sie zu Staatsbürgern zu machen, sie von
dem demokratischen Staate abhängig zu machen und doch gleichzeitig von diesem
Staat fernzuhalten. Das ist der politische und staatstheoretische Sinn der schönen
Formel: die Kolonien sind staatsrechtlich Ausland, völkerrechtlich Inland."GLP
Vorwort 2.Auflage,14f)
Man ersieht hieraus die Nähe von Schmitts Begriff der Demokratie
zu dem Sieyesschen Begriff der Nation als Dritten-Stand-Begriff, mit dem Unterschied,
das er nicht mehr als polemischer Begriff gegen die ersten Stände gebraucht
wird, sondern einen affirmativen Sinn bekommt. Wir werden sehen, daß dieser
Begriff im Rahmen der Freund- Feind-Theorie auch einen polemischen Sinn bekommt.
Eine zweite Quelle ist Rousseau:
"Die Gleichheit aller Menschen als Menschen ist nicht Demokratie
sondern eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform sondern individualistisch-humanitäre
Moral und Weltanschauung. Auf der unklaren Verbindung beider beruht die moderne
Massendemokratie. Trotz aller Beschäftigung mit Rousseau und trotz der richtigen
Erkenntnis, daß Rousseau am Anfang der modernen Demokratie steht, scheint
man noch nicht bemerkt zu haben, daß schon die Staatskonstruktion des Contrat
Social diese beiden verschiedenen Elemente inkohärent nebeneinander enthält.
Die Fassade ist liberal: Begründung der Rechtmäßigkeit des Staates
auf freien Vertrag. Aber im weitern Verlauf der Darstellung und bei der Entwicklung
des wesentlichen Begriffs, der volonte general, zeigt sich, daß der wahre
Staat nach Rousseau nur existiert, wo das Volk homogen ist, daß der wahre
Staat nach Rousseau nur existiert, wo das Volk homogen ist, daß im wesentlichen
Einstimmigkeit herrscht. Es darf nach dem Contrat social im Staate keine Parteien
geben, keine Sonderinteressen, keine religiösen Verschiedenheiten, nicht, was
die Menschen trennt, nicht einmal das Finanzwesen."(GLP Vorwort 2.Auflage,18f)
"Auch die Staatstheorie des Contrat social enthält einen Beweis dafür,
daß man die Demokratie richtigerweise als Identität von Regierenden und
Regierten definiert."(GLP Vorwort 2. Auflage)
Schmitt unterscheidet entsprechend seiner Differenzierung drei Arten
von Krisen (vgl.GLP21f): die Krise der Demokratie, die Krise des Parlamentarismus
und die des modernen Staates. Die Krise der Demokratie ist in Wahrheit die des Parlamentarismus,
weil die Elemente (Demokratie und Parlament), die sich zeitweilig verbunden haben,
nicht auf Dauer kompatibel sind und das System sich zwischen den Elementen entscheiden
muß. Nach einer "Jakobinerlogik" hat der Parlamentarismus den Keim
des eigenen Untergangs in sich. Dies begründet Schmitt folgendermaßen:
Die Wahl der Regierung impliziert Schmitt zufolge eine Identität des Mehrheitswillens
mit dem allgemeinen Willen. Die Abstimmung erweist, daß der Überstimmte
sich im Inhalt des allgemeinen Willens geirrt hat. Es ist dann nur noch ein quantitativer
Unterscheid übrig, ob ein Mehrheitswillen oder der einer Minderheit den allgemeinen
Willen richtig erfaßt:
"Mit dieser Jakobinerlogik kann man bekanntlich auch die Herrschaft
der Minderheit über die Mehrheit rechtfertigen und zwar unter Berufung auf
die Demokratie. Der Kern des demokratischen Prinzips bleibt dabei gewahrt, nämlich
die Behauptung einer Identität von Gesetz und Volkswillen, und für eine
abstrakte Logik macht es eigentlich keinen Unterschied, ob man den Willen der Minderheit
mit dem Willen des Volkes identifiziert, wenn es doch in keinem Falle der absolut
einstimmige Wille aller (auch der unmündigen) Staatsbürger sein kann."
(GLP,35)
Schmitt gibt weder Bolschewismus noch Faschismus die Schuld für
die Auflösung der Weimarer Republik, sondern umgekehrt ist die Stärke
beider Resultat der Auflösung des parlamentarischen Systems und vor allem des
Glaubens an die öffentliche Diskussion. So sieht nun seine abschließende
Diagnose aus:
"Die Wirklichkeit des parlamentarischen und parteipolitischen Lebens
und die allgemeine Überzeugung sind heute von solchen Glauben weit entfernt.
Große politische und wirtschaftliche Entscheidungen, in denen heute das Schicksal
der Menschen liegt, sind nicht mehr (wenn sie es jemals gewesen sein sollten) das
Ergebnis einer Balancierung der Meinungen in öffentliche Rede und Gegenrede
und nicht das Resultat parlamentarischer Debatten. Die Beteiligung der Volksvertretung
an der Regierung, die parlamentarische Regierung, hat sich gerade als das wichtigste
Mittel erwiesen, die Teilung der Gewalten und mit die alte Idee des Parlamentarismus
aufzuheben. Natürlich,wie die Dinge heute tatsächlich liegen, ist es praktisch
ganz unmöglich, anders als mit Ausschüssen zu arbeiten und schließlich
überhaupt das Plenum des Parlaments, d.h. seine Öffentlichkeit, seinem
Zweck zu entfremden und dadurch notwendig zu einer Fassade zu machen. Aber man muß
dann wenigstens so viel Bewußtsein der geschichtlichen Situation haben, um
zu sehen, daß der Parlamentarismus dadurch seine geistige Basis aufgibt und
das ganze System von Rede, Versammlungs- und Preßfreiheit, öffentliche
Sitzungen, parlamentarische Immunitäten und Privilegien seine ratio verliert.
Engere und engste Ausschüsse von Parteien oder von Parteikoalitionen beschließen
hinter verschlossenen Türen, und was die Vertreter großkapitalistscher
Interessenverbände im engsten Komitee abmachen, ist für das tägliche
Leben und Schicksal von Millionen von Menschen vielleicht noch wichtiger als jene
politischen Entscheidungen. Im Kampf gegen die Geheimpolitik absoluter Fürsten
ist der Gedanke des modernen Parlamentarismus, die Forderung einer Kontrolle und
der Glaube an Öffentlichkeit und Publiziät entstanden; das Freiheits-
und Gerechtigkeitsgefühl der Menschen empörte sich gegen eine Arkanpaxis,
die in geheimen Beschlüssen über das Schicksal der Völker entschied.
Aber wie harmlos und idyllisch sind die Objekte jener Kabinettspolitik des 17. und
18. Jahrhunderts neben den Schicksalen, um die es sich heute handelt und die heute
der Gegenstand aller Arten von Geheimnissen sind. Vor dieser Tatsache mußte
der Glaube an die diskutierende Öffentlichkeit eine furchtbare Desillusion
erfahren. Es gibt heute sicher nicht viele Menschen, die auf die alten liberalen
Freiheiten verzichten wollen, insbesondere auf Rede - und Preßfreiheit. Auf
dem europäischen Kontinent werden trotzdem nicht mehr viele sein, die glauben,
jene Freiheiten existieren noch, wo sie den Inhabern der wirklichen Macht wirklich
gefährlich werden könnten. (...) Sind Öffentlichkeit und Diskussion
in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer
leeren und nichtigen Formalität geworden, so hat auch das Parlament, wie es
sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, seine bisherige Grundlage und seinen Sinn
verloren." (GLP,62f)
Schmitt befaßt sich in seiner Parlamentarismusschrift zum Schluß
noch mit dem Begriff der Diktatur im Marxismus. Dabei unterstellt er - den Leninismus
vor Augen - ein instrumentelles Verhältnis zur Praxis, das aus einer richtigen
Theorie sich legitimiert, welches auch die Gewaltanwendung rechtfertigt:
"Der überzeugte Marxismus ist sich bewußt, die richtige
Erkenntnis sozialen, ökonomischen und politischen Lebens und eine daraus sich
ergebende richtige Praxis gefunden zu haben, das soziale Leben objektiv in allen
seinen sachlichen Notwendigkeiten aus seiner Immanenz richtig zu erfassen und dadurch
zu beherrschen."(GLP,65)
"Erst als er sich wissenschaftlich wußte, glaubte der Sozialismus die
Garantie einer im wesentlichen untrüglichen Einsicht zuhaben und konnte er
sich ein Recht auf Gewaltanwendung zusprechen."(GLP,65)
Schmitt reduziert den Marxismus nicht auf eine deterministische Weltanschaung,
bei dem der Sprung ins Reich der Freiheit der in das der "absoluter Technizität"
wäre, in dem es eine "Diktatur der führenden Rationalisten"
gäbe. Sondern er faßt die materialistische Geschichtsauffassung im Sinne
des hegelschen Idealismus auf. D.h. die Menschheit wird im Marxismus Schmitt zufolge
durch die richtige Erkenntnis der sozialen Wirklichkeit sich selbst bewußt
und das Wissen wird dadurch absolut. In diesem Zusammenhang weist er den fehlerhaften
Zirkel affirmativer Geschichtsteleologie auf, daß dasjenige, was hergeleitet
werden soll bereits vorausgesetzt wird.
"Das richtige Bewußtsein ist ein Kriterium dafür, daß
eine neue Stufe der Entwicklung beginnt. Solange dies nicht der Fall ist, solange
nicht wirklich eine neue Epoche bevorsteht, kann die bisherige Epoche, d.h. die
Bourgeoisie, nicht richtig erkannt werden, und umgekehrt: daß sie richtig
erkannt ist, enthält wieder den Beweis, daß ihre Epoche zu Ende ist.
In solchem Zirkel bewegt sich die Selbstgarantie der Hegelschen und auch die der
Marxistischen Gewißheit. Erst die richtige Einsicht in den Gang der Entwicklung
gibt also die wissenschaftliche Sicherheit, daß der historische Moment des
Proletariats gekommen ist. Die Bourgeoisie kann das Proletariat nicht begreifen,
wohl aber das Proletariat die Borgeoisie. Darum bricht über die Epoche der
Bourgeoisie die Dämmerung herein; die Eule der Minerva beginnt ihren Flug,
und das soll nicht heißen, daß Kunst und Wissenschaft gedeihen, sondern
daß die untergehende Epoche das Objekt historischen Bewußtsein einer
neuen Epoche geworden ist."(GLP,75)
Es folgt eine Auseinandersetzung mit Sorel, den Schmitt in die Tradition
von Bakunin und Proudon stellt. Die Kampfmittel, insbesondere der Streik wurden
bereits bei diesen Autoren ästhetiziert und heroisiert.
"So wurden Proudhon und Bakunin, die Väter des Syndikalismus
und schufen die Tradition, auf welcher, durch Argumente Bergsonscher Philosophie
gestützt, die Gedanken von Sorel beruhen. Ihren Kern bildet eine Lehre unmittelbarer
aktiver Entscheidung ist, einen noch stärkeren Gegensatz zu dem relativen Rationalismus
des ganzen Komplexes, der sich um Vorstellungen wie Balancierung, öffentliche
Diskussion und Parlamentarismus gruppiert."(GLP79f)
Bei Sorel finden wir auch eine Ablehnung des Parlamentarismus, die
in der Tradition des Anarchosyndikalismus steht, einer Bewegung, deren Politik in
einer ausschließlich gewerkschaftlich organisierten Form sich vollziehen sollte.
Die Kampfformen des Proletariats werden bei Ablehnung parlamentarischer Formen zum
Mythus gesteigert. Schmitt sieht bei aller Sympathie für Sorel hier die Schwäche
der Argumentation, deren praktische Konsequenzen er folgendermaßen einschätzt:
"Der vom kapitalistischen Zeitalter geschaffene Mechanismus der
Produktion hat eine rationalistische Gesetzmäßigkeit in sich und aus
einer Mythe kann man wohl den Mut schöpfen, ihn zu zerschlagen; soll er aber
weitergeführt werden, soll die Produktion sich noch weiter steigern, was auch
Sorel selbstverständlich will, so wird das Proletariat auf seine Mythen verzichten
müssen. (...) Hier war Marx auch im vitalen Sinn konsequenter, weil er rationalistischer
war. Aber vom Irrationalen aus gesehen, war es ein Verrat, noch ökonomischner
und noch rationalistischer sein zu wollen als die Bourgeoisie. Bakunin hat das durchaus
richtig empfunden. Bildung und Denkweise von Marx blieben im Überlieferten,
das hieß damals im Bürgerlichen, so daß er in geistiger Abhängigkeit
von seimen Gegner verharrte."(GLP,86)
8. Begriff des Politischen
Der Begriff des Politischen wird meistens in Bezugnahme auf seine Etymologie als
Wissen für die Polis oder in Bezug auf den Staatsbegriff bestimmt. Diese Bestimmung
relativiert Schmitt historisch:
"Es gab wirklich einmal eine Zeit, in der es sinnvoll war, die
Begriffe Staatlich und Politisch zu identifizieren. Denn dem klassischen europäischen
Staat war etwas ganz Unwahrscheinliches gelungen: in seinem Innern Frieden zu schaffen
und die Feindschaft als Rechtsbegriff auszuschließen. Es war ihm gelungen,
die Fehde, ein Institut des mittelalterlichen Rechts, den konfessionellen Bürgerkriegen
des 16. und 17. Jahrhunderts (...) ein Ende zu machen und innerhalb seines Gebiet
Ruhe, Sicherheit und Ordnung herzustellen. Die Formel 'Ruhe, Sicherheit und Ordnung'
diente bekanntlich als Definition der Polizei. Im Inneren eines solchen Staates
gab es tatsächlich nur Polizei und nicht mehr Politik..."(BP,10)
Politisch war der Staat nur im Verhältnis zu anderen Staaten,
da er nach innen befriedet war. Die Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft,
mißverständlich meistens als Trennung bezeichnet, war noch nicht gänzlich
durch das "Übergreifen der bürgerlichen Gesellschaft über den
Staat"(Marx) eliminiert wurde. Damit ist es nicht mehr möglich das Politische
mit dem Staatlichen zu identifizeren. Sind außerstaatliche soziale Bewegungen
nicht politisch? Sind kirchliche Intervention hinsichtlich des 218 unpolitisch?
Das wird man kaum annehmen. Schmitt wendet sich daher gegen die Identifizierung
beider Begriffe:
"Dagegen wird die Gleichung Staatlich=Politisch in demselben Maße
unrichtig und irreführend, in welchen Staat und Gesellschaft sich gegenseitig
durchdringen, alle bisher staatlichen Angelegenheiten gesellschaftlich und umgekehrt
alle bisher 'nur' gesellschaftlichen Angelegenheiten staatlich werden, wie das in
einem demokratisch organisierten Gemeinwesen notwendigerweise eintritt. Dann hören
die bisher 'neutralen' Gebiete - Religion, Kultur, Bildung, Wirtschaft auf, 'neutral'
im Sinne von nicht-staatlich und nicht-politisch zu sein. Als polemischer Gegenbegriff
gegen solche Neutralisierungen und Entpolitisierungen wichtiger Sachgebiete erscheint
der gegenüber keinem Sachgebiet desinteressierte, potentiell jedes Gebiet ergreifende
totale Staat der Identität von Staat und Gesellschaft. In ihm ist infolgedessen
alles wenigstens der Möglichkeit nach politisch, und die Bezugnahme auf den
Staat ist nicht mehr imstande, ein spezifisches Unterscheidungsmerkmal des 'Politischen'
zu begründen." (BP,24)
Der Begriff des "totalen Staates" ist nicht im Sinne des
starken Staates zu verstehen. Später (1933) wird Schmitt den Begriff "total"
differenzieren in total in einem rein quantitativen Sinne und total im qualitativen
Sinne. Der Weimarer Staat gilt ihm als total im quantitativen Sinne, im Volumen
der Staatsinterventionen, nicht in der Intensität und der politischen Kraft.
Es ist ein von Behemoth usurpierter Staat, der total aus Schwäche ist:
"Der heutige deutsche Staat ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit,
aus der Unfähigkeit heraus, dem Ansturm der Parteien und der organisierten
Interessenten standzuhalten. Er muß jedem nachgeben, jeden zufriedenstellen,
jeden subventionieren und den widersprechendsten Interessen gleichzeitig zu Gefallen
sein."(Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, p.362)
Von diesen Begriff unterscheidet er den des totalen Staats im qualitativen
Sinne, den er mit dem italienischen "stato totalitario", dem faschistischen
Staat Mussolinis identifiziert und für den er gewisse Sympathien gehabt hat.
Wenn Staat und Gesellschaft sich durch das Übergreifen der Gesellschaft über
den Staat sich gegenseitig durchdringen, so muß Schmitt zufolge der Begriff
des Politische aus dem spezifisch politischen Handeln erklärt werden:
"Das Politische muß (...) in eigenen letzten Unterscheidungen
liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt
werden kann. (...) Die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen
Handlungen zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und
Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne des Kriteriums, nicht als erschöpfende
Definition oder Inhaltsangabe." (BP,26)
Die Bestimmung ist nicht aus anderen Kriterien herleitbar, sie ist
nicht aus moralischen, ästhetischen und ökonomischen Unterscheidungen
wie gut und böse, schön und häßlich, rentabel und nicht-rentabel
herleitbar. Die Entscheidung zwischen Freund und Feind ist ja in dem Sinne der Politischen
Theologie aus dem normativen Nichts geboren:
"Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht
nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher
Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm
Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt
zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas
anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich
sind, die weder durch eine im voraus getroffene Normierung, noch durch den Spruch
eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteischen' Dritten entschieden werden können."(BP,27)
Unter Feind wird der öffentliche (hostis) nicht der private (inimicus)
verstanden, weil im Politischen Bezug auf das ganze Volk genommen wird, gleichgültig,
ob der Feind außen oder innen angesiedelt ist. Politische Begriffe haben Schmitt
zufolge immer einen polemischen Sinn.
"...alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte (haben)
einen polemischen Sinn; sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge,
sind an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine (in Krieg
oder Revolution sich äußernde) Freund-Feindgruppierung ist..."(BP,31)
Politik liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn wirkliche Kampfhandlungen
vollzogen werden. Es genügt die reale Möglichkeit des Kampfes.
"Die Begriffe, Freund, Feind und Kampf erhalten ihren realen Sinn
dadurch, daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen
Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn
diese ist seinsmäßie Negierung eines anderen Seins." (BP,33)
Als Beispiele für Kampf im Inneren führt Schmitt den Kulturkampf Bismarks
und den Klassenkampf an. Was Klassenkampf bedeutet, brauche ich, auch wenn er heute
zum Scheinkampf entartet ist, nicht erläutern. Der Kulturkampf entstand, als
durch die kleindeutsche Einigung der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung
sank und die Kaiserwürde an einen Protestanten gefallen war. Es wurde zum Zweck
der Repräsantion der katholischen Minderheit das "Zentrum" gegründet.
Bismark hatte die Befürchtung, daß sich reichsfeindliche Gruppierungen
bilden könnten, die mit katholischen Staaten kollaborierten. Als es einen innerkatholischen
Streit gab und die Papisten gegen die Altkatholiken vorgingen, die das Unfehlbarkeitsdogma,
die das erste vatikanische Konzil verkündete, ablehnten, unterstützte
die preußische Regierung die Altkatholiken. Sie schaffte die geistliche Schulaufsicht
ab, errichtete staatliche Standesämter und ging in vielfältiger Weise
gegen die Kirche vor. Der Kulturkampf blieb erfolglos, das Zentrum verdoppelte sogar
ihre Wählerzahl. Wie
die Sozialistengesetze nutzten die Maßnahmen mehr den Gegnern
Bismarks. Schmitt bezieht sich explizit auf diesen Sachverhalt. In diesem Zusammenhang
wird auch deutlich, wen er mit seiner Kritik an der Politischen Romantik auch meinte.
"Im 'Kulturkampf' gegen die römische Kirche zeigte sich, daß
selbst ein Staat von der ungebrochenen Kraft des Bismarkschen Reiches nicht absolut
souverän und allmächtig war; ebensowenig hat dieser Staat in seinem Kampf
gegen die sozialistische Arbeiterschaft gesiegt oder wäre er auf wirtschaftlichem
Gebiet imstande gewesen, den Gewerkschaften die im 'Streikrecht' liegende Macht
aus der Hand zu nehmen. Diese Kritik trifft in weitem Maße zu. Die Wendungen
von der 'Allmacht' des Staates sind in der Tat oft nur oberflächliche Säkularisierungen
der theologischen Formeln von der Omnipotenz Gottes und die deutsche Lehre des 19.Jahrhunderts
von der 'Persönlichkeit' des Staates ist teils eine polemisch, gegen die Persönlichkeit
des 'absoluten' Fürsten gerichtete Antithese,teils eine in den Staat als 'höheren
Dritten' ausweichende Ablenkung des Dilemmas: Fürsten- oder Volksssouveränität.
(...) Natürlich konnte Bismark dem Papst nicht den Krieg erklären, aber
nur, weil der Papst selber kein jus belli hatte; und auch die sozialistische Gewerkschaften
dachten nicht daran, als 'partie belligrante' aufzutreten. Es wäre jedenfalls
keine Instanz denkbar gewesen, die einer im Ernstfall betreffende Entscheidung der
damaligen deutschen Regierung hätte entgegentreten können oder wollen,
ohne damit selber politischer Feind und von allen Konsequenzen dieses Begriffs getroffen
zu werden, und umgekehrt stellte sich weder die Kirche noch eine Gewerkschaft zum
Bürgerkrieg. Das genügt, um einen vernünftigen Begriff von Souveränität
und Einheit zu begründen. Die politische Einheit ist eben ihrem Wesen nach
die maßgebende Einheit, gleichgültig aus welchen Kräften sie ihre
letzten psychischen Motive zieht. Sie existiert oder sie existiert nicht. Wenn sie
existiert, ist sie die höchste, d.h. im entscheidenden Fall bestimmende Einheit."(BP,42f)
Hier wird deutlich, daß Schmitt den Staat aus den Politischen
begründet und der Zweck des Politischen die Herstellung der Ordnung ist. Dabei
interessiert ihn nur, daß Ordnung herrscht, nicht welche Ordnung herrscht:
"Die Leistung eines normalen Staates besteht aber darin, innerhalb
des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen,
'Ruhe, Sicherheit und Ordnung' herzustellen und dadurch eine normale Situation zu
schaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, daß Rechtsnormen überhaupt
gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt und keine
Norm für eine ihr gegenüber völlig normale Situation Geltung haben
kann. Diese Notwendigkeit führt in kritischen Situationen dazu, daß der
Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den 'inneren
Feind' bestimmt. In allen Staaten gibt es deshalb in irgendeiner Form das, was das
Staatsrecht der griechischen Republiken als (org. gr.Feind in ASCII nicht widerzugeben)
Erklärung,das römische Staatsrecht als hostis-Erklärung kannte...,
mit einem Wort der innerstaatlichen Feinderklärung."(BP,46f)
Auch außenpolitisch gilt dasselbe, zum Staat gehört die
Fähigkeit, den äußeren Feind zu bestimmen. Dies geht nur unter bestimmten
Bedingungen. Die Entwicklung der technischen Mittel des Militärs führt
dazu, daß nur noch wenige Staaten einen aussichtsreichen Krieg führen
können, so daß schwächere auf das jus belli verzichten müssen,
wenn es durch Bündnispolitik nicht gelingt ihre Selbstständigkeit zu wahren
(vgl.BP 45f) Schmitt lehnt die Vorstellung eines gerechten Krieges ab, es gibt keine
Rechtfertigung des Krieges. Dies ist jedoch keinesfalls in einem pazifistischen
Sinne intendiert:
"Der Krieg, die Todesbereitschaft kämpfender Menschen, die
physische Tötung von anderen Menschen, die auf der Seite des Feindes stehen,
alles das hat keinen normativen, sondern nur einen existentiellen Sinn, und zwar
in der Realität einer Situation des wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen
Feind, nicht in irgendwelchen Idealen, Programmen oder Normativitäten. Es gibt
keinen rationalen Zweck, keine noch so richtige Norm, kein noch so vorbildliches
Programm, kein noch so schönes soziales Ideal, keine Legitimität oder
Legalität, die es rechtfertigen könnte, daß Menschen sich gegenseitig
dafür töten."(BP49f)
Die Pluralität von Staaten ist bei ihm die Voraussetzung für
die Existenz eines Staates. Ein Weltstaat könnte nicht gegen sich selbst kämpfen.
"Aus dem Begriffsmerkmal des Politischen folgt der Pluralismus
der Staatenwelt. Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes
und damit eine andere, koexistierende, politische Einheit voraus. Es gibt deshalb
auf der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten
und kann keinen die ganze Erde und ganze Menschheit umfassenden Welt'staat' geben.
Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum."(BP,54)
Zum Schluß ist noch eine Textstelle anzuführen, die eine
bestimmte richtige Einsicht in die Funktionsweise des Kapitalismus ausdrückt.
Schmitt beschreibt die kapitalistische Gesellschaft keinesfalls idyllisch, bestimmte
marxsche Einsichten schimmern bei ihm durch. Es ist aber auch darauf hinzuweisen,
daß Schmitt an keiner Stelle für eine kollektive Selbstverwaltung der
Produzenten votiert, sondern auf die Zentrierung der Gesellschaft auf die Politik
das Wort redet. Auch Folgendes macht aus ihm keinen Marxisten:
"Der Begriff des Tausches schließt es keineswegs begrifflich
aus, daß einer der Kontrahenten einen Nachteil erleidet und daß ein
System von gegenseitigen Verträgen sich schließlich in ein System der
schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung verwandelt. Wenn sich die Ausgebeuteten
und Unterdrückten in einer solchen Lage zur Wehr setzen, so können sie
das selbstverständlich nicht mit ökonomischen Mitteln. Daß die Inhaber
der ökonomischen Macht dann jeden Versuch einer 'außerökonomischen'
Änderung ihrer Machtstellung als Gewalt und Verbrechen bezeichnen und zu verhindern
suchen, ist ebenfalls selbstverständlich. Nur entfällt dadurch jene Idealkonstruktion
einer auf Tausch und gegenseitigen Verträgen beruhenden und eo ipso friedlichen
und gerechten Gesellschaft."(BP,76)
9. Legitimität und Legalität
Diese Abhandlung setzt sich hauptsächlich mit der Weimarer Verfassung auseinander.
Er untersucht zunächst allgemein den Gesetzgebungsstaat, den er von drei anderen
Typen unterscheidet:
Jurisdiktionsstaat: der Richter hat im Rechtsstreit das letzte Wort, konkrete Fallentscheidung
Regierungsstaat: hoheitlicher persönlicher Wille und autoritärer Befehl
des Regierungsoberhaupts
Verwaltungsstaat: die Dinge verwalten sich selbst, sachlichpraktische Zweckmäßigkeit
herrscht Was im allgemeine Rechtsstaat genannt wird bezeichnet er als
Gesetzgebungsstaat:
"Als 'Gesetzgebungsstaat' wird hier eine bestimmte Art politischer
Gemeinwesen bezeichnet, dessen Besonderheit darin besteht,daß es den höchsten
und entscheidenden Ausdruck des Gemeinwillens in Normierungen sieht, die Recht sein
wollen, daher bestimmte Qualitäten beanspruchen müssen, und denen deshalb
alle andern öffentlichen Funktionen, Angelegenheiten und Sachgebiete untergeordnet
werden können. Was man in den Staaten des europäischen Kontinents seit
dem 19.Jahrhundert unter 'Rechtsstaat' verstand, war in Wirklichkeit nur ein Gesetzgebungsstaat,
und zwar der parlamentarische Gesetzgebungsstaat."(GLP,7)
Im Gesetzgebungsstaat herrscht die generelle, vorherbestimmte Normierung
und die Unterscheidung von Gesetz und Gesetzesanwendung. Schmitt sieht im Glauben
an ein Naturrecht eine Legitimation des Staates, in den Glaube an allgemeine Ideen,
der Vorrang der ratio vor der voluntas herrscht. Sobald dem Naturrecht jedoch von
den Produktionsverhältnissen der Boden entzogen worden ist, verfällt auch
der Glaube an die Legalität, der seine Kraft aus dem Naturrecht bezog.
Das Vertrauen auf den Gesetzgeber "bleibt die Voraussetzung einer
jeden Verfassung, die den Rechtsstaat in der Form des Gesetzgebungsstaates organisiert.
Sonst wäre der Gesetzgebungsstaat ein etwas komplizierterer Absolutismus, der
unbegrenzte Gehorsamsanspruch aber eine offene Vergewaltigung und der ehrliche Verzicht
auf das Widerstandsrecht eine unverantwortliche Dummheit. Wenn der Gesetzesbegriff
jeder inhaltlichen Beziehung zu Vernunft und Gerechtigkeit beraubt, und zugleich
der Gesetzgebungsstaat mit seinem spezifischen, alle Hoheit und Würde des Staates
beim Gesetz konzentrierenden Legalitätsbegriff beibehalten wird, kann jede
Anordnung beliebiger Art, jeder Befehl und jede Maßnahme, jedes Kommando an
irgendeinen Offizier oder Soldaten und jede Einzelanweisung an einen Richter, kraft
'Herrschaft des Gesetzes' legal und rechtmäßig durch Parlamentsbeschluß
oder die sonstigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Instanzen vorgenommen werden.
Das 'rein Formale' reduziert sich dann auf das leere Wort und die Etikette 'Gesetz'
und gibt den Zusammenhang mit dem Rechtsstaat preis.(...) Auf keinen Fall ist dieses
Legalitätssystem voraussetzungslos. Eine voraussetzungslose Gleichsetzung des
Rechts mit dem Ergebnis irgendeines formalen Verfahrens wäre nur vorausetzungslose,
also blinde Unterwerfung unter die reine, das heißt von jeder inhaltlichen
Beziehung zu Recht und Gerechtigkeit losgelöste Dezision der mit der Gesetzgebung
betrauten Stellen, voraussetzungsloser Verzicht auf jeden Widerstand. Es wäre
das sic volo sic jubeo in seiner naivsten Form und nur psychologisch, aus den Rudimenten
irgendeines Aberglaubens oder aus Residuen einer früheren, inhaltsvolleren
Gesetzesreligion zu begreifen. Man kann das 'Positivismus' nennen, wie man jede
Art von Dezisionismus kritiklos als Positivismus bezeichnen kann; nur täuscht
dieses Wort heute nicht mehr darüber hinweg, daß jener voraussetzungslose
Formalismus ein rein politisch motivierter Unterwerfungsanspruch mit rein politisch
motivierter Verneinung jeden Widerstandsrechtes ist."(LL,24f)
Daraus kann man schließen, daß mit der Vollendung des Kapitalismus,
wenn die traditionellen Relikte eliminiert worden sind, nur noch ein formales Legalitätssystem
übrig bleibt. Es herrscht das Mehrheitsprinzip. Dies hält Schmitt nur
aufgrund einer Homogenität des Volkes für möglich. Sonst findet ihm
zufolge nur die Unterdrückung der Minderheit durch die Mehrheit statt:
"Die Methode der Willensbildung durch eine einfache Mehrheitsfeststellung
ist sinnvoll und erträglich, wenn eine substantielle Gleichartigkeit des ganzen
Volkes vorausgesetzt werden kann. In diesem Fall liegt nämlich keine Überstimmung
der Minderheit vor, sondern die Abstimmung soll nur eine latent vorhandene und vorausgesetzte
Übereinstimmung und Einmütigkeit zutagetreten lassen. Da Demokratie auf
der Voraussetzung des unteilbar gleichartigen, ganzen, einheitlichen Volkes beruht,
so gibt es für sie in der Sache und im Wesentlichen überhaupt keine Minderheit
und noch weniger eine Mehrzahl fester, konstanter Minderheiten. Man läßt
sich auf das Verfahren der Mehrheitsfeststellung ein, nicht etwa, weil man aus Relativismus
oder Agnostizismus darauf verzichtete, das Wahre und Richtige zu finden - das wäre
(...) nur wie Hans Kelsen zugibt, 'nur in ruhigen Zeiten', also nur wenn es nicht
darauf ankommt, möglich. Sondern man setzt voraus, daß kraft der gleichen
Zugehörigkeit zum gleichen Volk alle in gleicher Weise im Wesentlichen das
Gleiche wollen. Entfällt die Voraussetzung (...) so ist der gegenstandslose,
inhaltsleere Funktionalismus rein arithmetischer Mehrheitsfestellungen das Gegenteil
von Neutralität oder Objektivität; er ist nur die quantitativ größere
oder geringere Vergewaltigung der überstimmten und damit unterdrückten
Minderheit. Die demokratische Identität von Regierung und Regierten, Befehlenden
und Gehorchenden hört dann auf; die Mehrheit befiehlt und die Minderheit hat
zu gehorchen. Sogar die arithmetische Addierbarkeit hört dann auf, weil man
vernünftigerweise doch nur Gleichartiges zu einer Summe zusammenzählen
kann."(LL,31)
In der gleichen Chance, die Mehrheit zu erreichen sieht Schmitt den
Formalismus durchbrochen, dies hält er für ein materielles Gerechtigkeitsprinzip.
Die Legalität der staatlichen Macht - so gesichert - soll das Widerstandsrecht
aufheben, aber - so Schmitt - der Mißbrauch der Macht kann durch ein funktionalistisch-
formalistisches System nicht verhindert werden. Die jeweils herrschende Mehrheit
hat immer Vorteile, einen "politischen Mehrwert", wie Schmitt es nennt:
"Wer die Mehrheit hat, macht die geltenden Gesetze, außerdem
macht er die von ihm gemachten Gesetze selber geltend. Geltung und Geltendmachung,
Produktion und Sanktion der Legalität ist sein Monopol. Das Wichtigste ist
aber, daß das Monopol der Geltendmachung des geltenden Gesetzes ihm den legalen
Besitz der staatlichen Machtmittel und damit eine über die bloße Normen-'Geltung'
weit hinausgehende politische Macht verleiht. (...) Infolgedessen bewirkt, über
jede Normativität hinaus, der bloße Besitz der staatlichen Macht einen
zur bloß normativistischlegalen Macht hinzutretenden politischen Mehrwert,
eine überlegale Prämie auf den Besitz der legalen Macht und auf die Gewinnung
der Mehrheit."(LL,35)
Die Prämie beruht 1) auf der Ermessungshandhabung, 2) der Legalitätsvermutung
und 3) der sofortigen Vollziehbarkeit.
Ad 1) Die Ermessungshandhabung besteht in der Auslegung und Handhabung von Ermessungsbegriffen
wie:
"'öffentliche Sicherheit und Ordnung', 'Gefahr', 'Notstand',
'nötige Maßnahmen', 'Staats - und Verfassungsfeindlichkeit', 'friedliche
Gesinnung', 'lebenswichtige Interessen' usw." (LL,35)
Ad 2) "hat der legale Inhaber der Staatsmacht für den Zweifelsfall, der
bei solchen unbestimmten Begriffen in politisch schwieriger Lage natürlich
immer eintreten wird, die Vermutung der Legalität auf seiner Seite."(LL35)
Ad 3) "endlich sind seine Anordnungen auch bei zweifelhafter Legalität
zunächst einmal vollziehbar, selbst Beschwerdemöglichkeiten und justizförmiger
Schutz vorgesehen sind. Bei einem Wettrennen zwischen Exekutive und Justiz würde
die Justiz meistens zu spät kommen, auch wenn man ihr das in politisch interessanten
Fällen für sie selbst nicht unbedenkliche Instrument einstweiliger Maßnahmen
und Vefügungen in die hand gäbe. Deshalb bedeutet die justizförmige
Chance zwar eine notwendige Korrektur und einen nicht zu verachtenden Schutz, aber
sie kann nicht politisch entscheidend sein und für sich allein das Gerechtigkeitsprinzip
diser Art Legalität, die Offenhaltung der gleichen Chance, nicht tragen."(LL,35f)
Schmitt zeigt dies an der Weimarer Verfassung, insbesondere kritisiert
er bestimmte Generalklauseln und Notstandsverordnungen. Er sieht im zweiten Teil
der Verfassung sogar eine Gegenverfassung, die dem Reichspräsidenten Befugnisse
eines kommisarischen Diktator gibt. Der Reichspräsident ist anscheinend dem
parlamentarischen Ge- setzgeber untergeordnet, seine Maßnahmen müssen
vom Reichstag toleriert werden. Aber durch seine Überlegenheit aufgrund seines
politischen Mehrwerts (vgl.LL,35) kann er auch gegen das Parlament seine Interessen
durchsetzen.
"Der Vorsprung ist freilich sehr groß: er entscheidet nach
seinem Ermessen über die Voraussetzungen seiner außerordentlichen Befugnisse
(Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung) und über ihren Inhalt,
die 'nötigen' Maßnahmen; er kann deshalb Maßnahmen, deren Aufhebung
der Reichstag verlangt hat, in allerkürzester Zeit von neuen erlassen; das
Außerkraftsetzungsverlangen hat keine rückwirkende Kraft, der außerordentliche
Gesetzgeber kann also gegenüber dem ordentlichen Gesetzgeber vollendete Tatsachen
schaffen; ja eigentliche, besonders wirksame Maßnahmen, zum Beispeil das Eingreifen
mit bewaffneter Hand und die Erschießung eines Menschen, können überhaupt
nicht mehr 'außer Kraft gesetzt werden'."(LL,72f)
Die sog. Machtergreifung Hitlers erfolgte dann ja in diesem Sinne verfassungsgemäß
durch die Ausnutzung der Befugnisse des Reichspräsidenten Hindenburg. Schmitt
hat also die rechtlichen Möglichkeiten für eine faschistische Machtergreifung
aufgewiesen. Indes ist hinzuzufügen, daß er 1932 sich für die Lösung
Schleichers, den Hitler dann ablöste, öffentlich einsetzte. Er veröffemntlichte
folgenden Wahlaufruf:
"Wer den Nationalsozialisten am 31. Juli die Mehrheit verschafft,
obwohl er nicht Nationalsozialist ist und in dieser Partei nur das kleinere Übel
sieht, der handelt töricht. Er gibt dieser weltanschaulich und politisch noch
gar nicht reifen Bewegung die Möglichkeit, die Verfassung zu ändern, das
Staatskirchentum einzuführen, die Gewerkschaften aufzulösen usw. Er liefert
Deutschland dieser Gruppe völlig aus. Deshalb: es war bisher unter Umständen
gut, die Widerstandsbewegung Hitlers zu fördern, am 31.Juli ist es überaus
gefährlich, weil die 51 Prozent der NSDAP eine 'politische Prämie' von
unsichtbarer Tragweite geben."(Tägliche Rundschau 19.7.32 cit. nach L.-A.Bentin,
Johannes Popitz und Carl Schmitt)
Schmitt wendet sich zwar gegen die Nazis, legte jedoch verfassungstheoretisch
eine Zeitbombe in die Weimarer Verfassung, indem er auf die juristischen Möglichkeiten
der Auflösung der Weimarer Republik hinwies. Er hatte die Hoffnung, daß
das bürokratische "Gehäuse der Hörigkeit"(Weber) durch
eine charismatisch, plebizitär legitimierte autoritärer Herrschaft, die
die Verschlingung von Staat und Gesellschaft auflösen würde, beseitigt
werden würde. Eine plebizitäre Legitimation hielt er für die momentan
einzig mögliche.
"Und doch ist die plebizitäre Legitimität die einzige
Art staatlicher Rechtfertigung, die heite allgemein als gültig anerkannt sein
dürfte. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ein großer Teil der heute
zweifellos vorhandenen Tendenzen zum 'autoritären Staat' hier eine Erklärung
findet. Diese Tendenzen lassensich nicht einfach als reaktionäre ode restaurative
Sehnsucht erledigen. Von weitaus größerer Bedeutung ist die Erkennnis,
daß in der Demokratie die Ursache des heutigen 'totalen Staates', genauer
der totalen Politisierung des gesamten menschlichen Daseins zu suchen ist, und daß
es (...) einer stabilen Autorität bedarf, um die notwendigen Entpolitisierungen
vorzunehmen und , aus dem totalen Staat heraus, wieder freie Sphären und Lebensgebiete
zu gewinnen." (LL,93)
10.Schmitt und der Nationalsozialismus
Im November 1933 deutet Schmitt im Vorwort seiner Politischen Theologie eine Wende
in seinem Denken an.
"Ich würde heute nicht mehr zwei, sondern drei Arten rechtswissenschaftlichen
Denkens unterscheiden, nämlich außer dem normativistischen und dem dezisionistischen
noch den institutionellen Typus. (...)Während der reine Normativist in unpersönlichen
Regeln denkt und der Dezisionist das gute Recht der richtig erkannten politischen
Sitution in einer politischen Entscheidung durchsetzt, entfaltet sich das institutionelle
Rechtsdenken in überpersönlichen Einrichtungen und Gestaltungen. Und währende
der Normativist in seiner Entartung das Recht zum bloßen Funktionsmodus einer
staatlichen Bürokratie macht und der Dezisionist immer in Gefahr steht, durch
die Punktualisierung des Augenblicks das in jeder großen politischen Bewegung
enthaltende ruhende Sein zu verfehlen, führt ein isoliert institutionelles
Denken in den Pluralismus eines souveränitätslosen Wachstums. So lassen
sich die drei Sphären und Elemente der politischen Einheit - Staat, Bewegung,
Volk - den drei juristischen Denktypen sowohl in deren gesunden wie ihren entarteten
Erscheinungsformen zuordnen. Der sogenannte Positivismus und Normativismus der deutschen
Staatsrechtslehre der Wilhelminischen und der Weimarer Zeit ist nur ein degenerierter
- weil statt auf ein Naturrecht oder Vernunftsrecht begründeter, an bloß
faktisch 'geltende' Normen angehängter - daher in sich widerspruchsvoller Normativismus,
vermischt mit einem Positivismus, der nur ein rechtsblinder, an die 'normative Kraft
des Faktischen' statt an eine echte Entscheidung sich haltender, degenerierter Dezisionimsus
war."(PTH,8)
Von nun ab ist die Ordnung nicht mehr aus dem normativen Nichts geboren,
sondern gilt als "substantiellee, seinsmäßige, wesentlich öffentliche
Ordnung". Über den Nationalsozialismus sagt er dann in seiner Schrift
"Staat, Bewegung, Volk":
"Der Nationalsozialismus denkt nicht abstrakt und schablonenhaft.
Er ist ein Feind alles normativistischen Machens. Er sichert und pflegt jede echte
Volkssubstanz, wo er sie trifft, in Landschaft, Stamm oder Stand. Er hat das bäuerliche
Erbhofrecht geschaffen; das Bauerntum gerettet; das deutsche Beamtentum von fremdartigen
Elementen gereinigt und dadurch als Stand wiederhergestellt."(SBV,32)
Die "Machtergreifung" ist für ihn der Todestages Hegels:
"An diesem 30.Januar ist der Hegelische Beamtenstaat des 19. Jahrhunderts,
für den die Einheit von Beamtentum und staatstragender Schichten kennzeichnend
war, durch eine andere Staatskonstruktion ersetzt worden. An diesem Tage ist demnach,
so kann man sagen, 'Hegel gestorben'. Das bedeutet aber nicht, daß das große
Werk des deutschen Staatsphilosophen bedeutungslos geworden und der Gedanke einer
über den Egoismus gesellschaftlicher Interessen stehenden politischen Führung
preisgegeben wäre. Was an Hegels mächtigem Geistesbau überzeitlich
groß und deutlich ist, bleibt auch in der neuen Gestalt wirksam."(SBV,31f)
Über das Gesetz im neuen Staat schreibt er:
"Gesetz ist für uns nicht mehr eine abstrakte, auf einen vergangenen
Willen bezogene Norm; Gesetz ist Wille und Plan des Führers."(Die Rechtswissenschaft
im Führerstaat, in ZAkDR 2.Jg. 1935, 439)
Die Schriften jüdischer Autoren will er nicht verbrennen, sondern
nur aussondern.
"Alle juristischen Schriften jüdischer Autoren gehören
(...) bibliothekstechnisch unterschiedlos in eine besondere Abteilung 'Judaica'.
Entscheidend ist ferner das Problem der Zitate ... Wenn es aus einem sachlichen
Grunde notwendig ist, jüdische Autoren zu zitieren, dann nur mit dem Zusatz
'jüdisch'. Schon von der bloßen Nennung des Wortes 'jüdisch' wird
ein heilsamer Exorcismus ausgehen." (Die deutsche Rechtswissenschnaft im Kampf
gegen den jüdischen Geist, Sp. 1195f)
Die Nazis waren ihm nicht sehr dankbar. Bereits 1936 griff der "Schwarze
Korps", die Zeitschrift der SS Schmitt an und warf ihm seine früheren
jüdischen Freunde vor. Ein Artikel von katholischen Emigranten wurde u.a abgedruckt
mit dem Titel: "Auf dem Wege in die Emigration oder ins Konzentrationslager?"
Sein ständiger vorauseilender Gehorsam ist schon in den Schriften zur Zeit
der Weimarer Republik kenntlich. Karl Jaspers sprach von ihm als dem Prätorianer
Hitlers, die ihr wirkliches geistiges Können eingesetzt haben, um an die Spitze
der nationalsozialistischen Bewegung zu kommen. Die Nazis haben ihm gerade wegen
seiner Geschwindigkeit seiner Wende mißtraut. Hatte er 1932 vor den Nazis
gewarnt, so rechtfertigt er 1933 und den Folgejahren alles. Er rechtfertigt die
Mordaktion bei der sein Förderer General von Schleicher umkam und begrüßt
Hitler als den Souverän, den er in seiner "Politischen Theologie"
herbeisehnte. Er mußte lediglich seine Staatsethik in die Dienste der "völkischen
Rechtserneuerung" stellen. Bis zum Verlust aller Ämter Dezember 1936 schrieb
er mehr als vierzig Beiträge, die durchaus begeisterter Zustimmung entsprangen.
Sein grenzenloser Opportunismus und die Bedenkenlosigkeit mit der sein Katholizismus
durch das völkische Neuheidemtum ausgetauscht wurde, hat bei seinen konkurrierenden
Kollegen(Höhn, Koellreutter, Eckhard) und bei der SS dann Mißgunst erregt.
Man warf ihm seine frühere Freundschaft mit Juden vor. Auch dem begegnete er
mit vorauseilender Unterwerfung und mit offen antisemitischen Argumenten, die er
bis dahin vermieden hatte, in Vorträgen wie "Das Judentum in Rechts- und
Wirtschaftswissenschaft") und "Die Deutsche Rechtswissenschaft im Kampf
gegen den jüdischen Geist"(DRZ H20 1936).
"Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre,
eine taktische und eine händlerische Bezeihung. Durch seine händlerische
Begabung hat er oft einen scharfen Sinn für das Echte; mit großer Findigkeit
und schneller Witterung weiß er das Echte zu treffen. Das ist sein Instinkt
als Parasit und echter Händler."(DRZ, H20 1936, S.1197)
Der Aufsatz endet mit dem Satz "'Indem ich mich des Juden erwehre',
sagt unser Führer Adolf Hitler, 'kämpfe ich für das Werk des Herrn'."
Bernd Rüthers beschreibt das so:
"Die Angriffe gegen ihn, die zum Verlust der Ämter...führten,
hatten ihre Gründe nicht etwa in einer inneren Distanzierungg oder gar Widerstandshaltung
Schmitts gegenüber dem Nationalsozialismus...Das Gegenteil trifft zu. Das vom
Schmitt gerade zwischen 1933 und 1936 geleistete Übersoll von weltanschaulichen
Loyalitätsbekundungen wirkte auf seine mächtigen Gegner und Konkurrenten
in der Kollegenschaft, in der Partei und besonders in der SS ebenso unglaubwürdig
wie provokativ. Sie fürchteten einen weiteren Aufstieg und griffen ihn deswegen
frontal an. Nicht Schmitt hat sich 1936/7 vom Nationalsozialismus abgewendet. Es
war umgekehrt...Für eine Stilisierung der Rolle Schmitts im Sinne...eines heimlichen
Widerstands gegen die Machthaber fehlte jede tatsächliche Grundlage."
(Rüthers: Carl Schmitt im Dritten Reich S.81)
11. Carl Schmitt und die "Neue Rechte"
Abgesehen von seinem Kampf gegen den Parlamentarismus und Liberalismus, muß
man sich fragen, was die heutige sich "Neue Rechte" nennende Rechte an
C.Schmitt so fasziniert. Sein Anti-Apokalyptik, sein Aufhalten der Zeit, kennzeichnet
seine "Politische Theologie". Wenn es schon kein Zurück zur Alten
Ordnung geben kann - sofern kann man ihn nicht als konservativen Denker bezeichnen,
so wie alle Denker, die Mohler in den 50er Jahren als Konservative Revolution zusammenfaßte,
keineswegs als konservativ bezeichnet werden können - dann, so argumentiert
er, muß ein autoritärer Staat errichtet werden, der als Absolutes außer
der Zeit steht, der die Ankunft des Antichrists und Weltendes aufhält, ein
totaler Staat des Leviathan, der das andere Ungeheuer dem Behemoth in Schach hält.
Der Leviathan ist als Staat "entweder wirklich vorhanden, dann
funktioniert er als das unwiderstehliche Instrument der Ruhe, Sicherheit und Ordnung,
und dann hat er alles objektive und alles subjektive Recht auf seiner Seite, da
er ... alles Recht selber macht; oder er...erfüllt seine Funktion oder Friedenssicherung
nicht..., dann kommt (es) vor, daß... die große Maschine an Rebellion
und Bürgerkrieg zerbricht."(Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre
des Thomas Hobbes S. 69)
Der Staat soll für Ordnung sorgen, d.h. die Homogenität herstellen.
In der zitieren Parlamentarismusschrift hieß es:
"Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität
und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogen."(GLP
14)
Und in der Verfassungslehre:
"Der zentrale Begriff der Demokratie ist Volk und nicht Menschheit"(VL
234)
Das richtete sich schon bei Schmitt gegen Liberalismus, Marxismus und
gegen die jüdische Geistestradition.
Die sog. "Neue Rechte" wiederholt nur die Kritik der "alten Rechten"
an dem verabscheuten Westen, der Siegermächte im 1. Weltkrieg und bezieht diese
auf die Siegermächte des 2. Weltkriegs. Nachdem unter Hitler die Nation vollständig
diskrediert war, wollen sie wieder zurück zum Nationalismus. So eindeutig findet
man das bei Schmitt nicht, daher werden in der "Neuen Rechte" die Freund-Feind-Unterscheidungen
im Lichte von Arthur Moeller van den Bruck interpretiert:
"Der Nationalismus sagt nicht, wie der Patriotismus dies tut, daß
das Deutsche erhaltenswert sei, weil es deutsch sei. Die Nation ist für den
Nationalisten kein Selbstzweck, der von der Vergangenheit her klar und sichtbar
und bereits erfüllt vor uns liegt. Der Nationalismus ist durchaus auf die Zukunft
der Nation gerichtet. Er ist konservativ, weil er weiß, daß es keine
Zukunft ohen Verwurzelung in der Vergangenheit gibt. Und er ist politisch, weil
er weiß, daß er der Vergangenheit wie der Zukunft nur sicher sein kann,
wofern er die Nation in der Gegenwart sichert."(Moeller van de Bruck, Das Dritte
Reich 1923 cit 3. Aufl. 1931 S.230)
Es wird deutlich, daß der Liberalismus im Lichte eiens völkischen
Nationalismus kritisiert wird. Es fällt ja auch der Satz "Am Liberalismus
gehen die Völker zugrunde."
Die Neue Rechte überträgt die Kritik an der Weimarer Verfassung einfach
auf die BRD-Verfassung:
"Wir bekamen ein Republik, deren Grundlage nicht die Verfassung
von Weimar ist, sondern der Vertrag von Versaille. Wir wurden ganz und gar zu Hörigen,
und auch an Hörigengeist fehlte es nicht, Geist von Frankophilen, die in unsere
Feinde verliebt und ihrem Denken verfallen sind." (Drittes Reich S 24)
"Aber gerade das Volk ist dem liberalen Menschen völlig gleichgültig.
Der Liberalismus ist die Partei der Emporkömmlinge. Er ist die Partei einer
Zwischenschicht, die verstanden hat, sich zwischen das Volk als Nation und die Auslese
einzuschieben, die sich aus dem Volke heraus ständig, aber nicht berechensam,
sondern schöpferisch vollziehen muß, wenn das Vol als Nation schöpferisch
bleiben soll. Die Angehörigen dieser Zwischenschicht haben das Wachstum der
Nation übersprungen oder sich als Fremdkörper in sie eingedrängt."
(Drittes Reich S. 82)
Schmitt war nicht so populistisch eingestellt. Die sog. "Neue
Rechte" injiziert in ihre Schmittdeutung ein wenig Moeller van de Bruck. Gemeinsam
ist beiden die antiwestliche Orientierung, die Schmitt in Das Reich 19.4.1942 folgendermaßen
formulierte:
"Weltmarkt, Welthandel, Weltmeer und der große Mythos der
Freiheit erhielten ihren konkreten Inhalt dadurch, daß die Angloamerikaner
das fabelhafteste aller Monopole innehatten, nämlich das Monopol, Hüter
der Freiheit der ganzen Erde zu sein. Damit ist es nun zu Ende. Das große
Thema des gegenwärtigen Weltkriegs liegt gerade in dem Gegensatz gegen eine
solche universalle Weltmacht und ihren Weltordnungsanspruch."
Man muß sich nun nicht mehr wundern, daß die Edelnazischülerzeitung
"Junge Freiheit" in einem Artikel "Die Heuchelei des Westens"
Alain de Benoist den Westen geißeln läßt: Den "Westen, diese
verblühte Hure, die nur dem Geld nachläuft und seit Jahrhunderten nicht
davon ablassen kann, anderen Völkern ihre Identität zu nehmen"(2/91
S.7)
"Der Westen wird alle Kriege gewinnen, außer dem letzten.
Und wenn es eines Tages einen Dritten Weltkrieg geben muß, werden ihn die
USA und der europäische Kontinent gegeneinander austragen"(ebenda)
So ist die "Neue" Rechte das Alte noch einmal. Und Carl Schmitt,
von dem nur seine Verblödungsformen übriggeblieben sind, ist einer der
Schlüssel für ihre Ideologie.
Anmerkungen:
1) Sustentativer Kapitalexport dient in der Notlage
zur Unterstützung der Wirtschaft, er baut überakkumuliertes Kapital ab;
davon unterschieden wird amplikativer Kapitalexport, der während der Prosperität
erfolgt und durch Veringerung der inländischen Kapitalversorgung den Zinzsatz
erhöht. Treibendes Motiv des Kapitalexports sind in beiden Fällen die
Erwartung höherer Pro- fitraten in Ländern mit niedrigerer organischer
Zusammensetzung des Kapitals.
2) Die Textstelle bei Engels lautet:
MEW 7, 252:"Wie in Frankreich 1793 ist heute in Deutschland die Durchführung
der strengsten Zentralisation die Aufgabe der wirklichen revolutionären Partei."
Von Diktatur ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Zwei Texttellen bei Engels
deuten darauf hin, was Engels mit dem Begriff der Diktatur meint.
MEW 17, 625: "Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in in heilsamen
Schrecken geraten bei dem Wort Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt
ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an, das war
die Diktatur des Proletarats."
MEW 22, 235: "Wenn etwas feststeht, so ist es dies, daß unsere Partei
und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen kann unter der Form der demokratischen
Republik. Diese ist sogar die spezifische Form für die Diktatur des Proletariats."
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt